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Interview mit Frank Mill

"Man stand da als deutscher Nationalspieler und hat Maradona beim Warmmachen zugeguckt."

Frank Mill spielte in der Bundesliga für Essen, Gladbach, Dortmund und Düsseldorf. Er hat mit uns über legendäre Spiele und Spieler gesprochen...

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von Nico Petrowsky


Frank Mill, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir zunächst gerne wissen, was Sie nach ihrer Profikarriere gemacht haben und was Sie heute beruflich machen?

Hauptsächlich bin ich Betreiber von Fußballschulen für Kinder im Alter zwischen 6 und 16 Jahren. Das mache ich schon 20 Jahre. Momentan durchleben wir natürlich eine schwierige Zeit, aber anderen Menschen geht es schlechter, deswegen will ich mich nicht beklagen.


Sie kamen als Jugendlicher zu Rot-Weiß Essen, wo Sie als 18-Jähriger zum Bundesligaspieler wurden. Wie wurden Sie von den alten Hasen um Werner Lorant und Horst Hrubesch aufgenommen?

Ich spielte noch in der A-Jugend und war dann ab und an bei der ersten Mannschaft. In jeder Mannschaft gibt es eine Rangordnung, nur heute spricht man darüber nicht mehr wirklich. Da musste man sich zunächst einmal ruhig verhalten und sich an den anderen orientieren, anstatt direkt eine große Klappe zu haben. Ich hatte damals mit Horst Hrubesch und Willi Lippens zwei Fürsprecher, die immer gut auf mich aufgepasst haben und mir auch eine Menge beibringen konnten. Die haben mich an die Hand genommen. Mit dem Lippens habe ich heute noch Kontakt. Der hat immer gesagt: „Kleiner, wenn ich lang laufe, musst du immer hinter mir rein laufen, da fällt immer was runter.“ Und so war es auch. Der Ball titscht dreimal auf und ich konnte ihn am langen Pfosten reinschieben.


Nach dem Abstieg von RW Essen, entwickelten Sie sich zum treffsicheren Stammspieler und wurden von Borussia Mönchengladbach verpflichtet. Dann hieß es plötzlich Europapokal statt 2. Bundesliga. Wo lagen die größten Unterschiede zwischen Essen und Gladbach?

Nach dem Abstieg habe ich noch weitere Jahre in Essen gespielt und wir sind auch in der Relegation gescheitert. 1981 bin ich dann zu Borussia Mönchengladbach gewechselt. Das war der Verein, bei dem ich immer spielen wollte. Die Fohlen, glorreiche 70er-Jahre, ganz in weiß – das war zu dieser Zeit mein Traumverein und schon eine ganz andere Welt.


In Gladbach war Jupp Heynckes ihr Trainer. Wie haben Sie ihn als Trainer kennengelernt?

Für einen Stürmer wie mich war Jupp als Trainer natürlich prädestiniert, weil er selbst Stürmer war und unheimlich viele Tore geschossen hat. Von daher konnte ich keinen besseren Trainer haben. Er hat die Stürmer immer sehr gefordert und gefördert. Ich hatte auch damals keinen Manager oder ähnliches und Jupp kam sogar persönlich zu mir nach Essen und wir haben uns unterhalten. Da war für mich klar: Ich gehe zu Borussia Mönchengladbach. Damals war das alles auch noch sehr familiär und Jupp hatte einen großen Anteil an meinem Wechsel.


1984 standen Sie kurz vor ihrem ersten Titel, als Sie mit Gladbach gegen Bayern im Finale des DFB-Pokal durch ihren Treffer bis kurz vor Schluss 1:0 führten. Am Ende ging das Spiel im Elfmeterschießen verloren. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Krimi?

An sich war das eigentlich kein Krimi. Die erste halbe Stunde haben wir ganz gut gespielt und sind nach einem Eckball in Führung gegangen. Aber im Prinzip war es danach ein Spiel auf ein Tor und die Bayern haben sich den Ausgleich mehr als verdient. Von daher war es zwar schade, aber das Ergebnis ging am Ende in Ordnung, weil Bayern einfach die bessere Mannschaft war. Den entscheidenden Elfmeter hat im Übrigen auch nicht Lothar Matthäus verschossen, sondern Norbert Ringels. Lothar hatte jedoch den Ersten verschossen und weil er dann zu den Bayern gewechselt ist, war das natürlich ein gefundenes Fressen.


Gegen Real Madrid gewannen Sie das legendäre Europapokalspiel 1985 mit 5:1. Im Rückspiel schieden Sie nach einem 0:4 doch noch aus. Hatten Sie nach diesem tollen Hinspiel überhaupt noch am Weiterkommen gezweifelt?

Bis wir in Madrid waren eigentlich nicht, aber spätestens in den Katakomben. Da wurde uns schon bewusst, dass es sehr schwer wird. Wir mussten viele Spieler ersetzen und haben mit einer ganz jungen Truppe gespielt. Es ist dann natürlich in der letzten Minute passiert, als der Ball ewig am Fünfmeterraum lag und Santillana hat ihn mit seinem langen Bein irgendwie reingestochert. Das war eine sehr bittere Niederlage nach diesem überragenden Hinspiel.


Obwohl Sie in Gladbach als Stammspieler meist in der Bundesliga-Spitzengruppe landeten, wechselten Sie 1986 zu Borussia Dortmund. Was zog Sie zum BVB, der zu dieser Zeit mit einem Bein in der zweiten Bundesliga stand?

Dieses Europapokalspiel gegen Madrid war auch ein Grund, warum ich Gladbach damals verlassen habe. Ich hatte beim Stand von 2:0 eine Chance aus 20 Metern vergeben und das hat man im Nachhinein dann als Aufhänger genommen, um mich loszuwerden. Damals war das mit den Gehältern auch noch etwas anders. Wenn ein Vertrag auslief, dann konnte das Gehalt um die Hälfte gekürzt werden. Darauf habe ich mich nicht eingelassen. Dann gab es ziemlich zähe Verhandlungen. In der ersten Saisonhälfte in Dortmund hatte ich auch schon einige Tore gemacht und plötzlich wollten mich die Gladbacher sogar wieder zurückkaufen. Aber dafür war es dann zu spät. Ich hatte einen guten Lauf und fühlte mich wohl.


Beim BVB schlugen Sie voll ein und schossen den Club mit 17 Toren nach vielen Jahren wieder in den UEFA-Cup. Bei vielen Fans blieb allerdings ein nicht erzieltes Tor in Erinnerung, als Sie am ersten Spieltag gegen Bayern alleine auf das leere Tor zuliefen und den Ball nicht über die Linie bekamen. Hat es Sie genervt, dass diese Szene über Ihrer starken Saisonleistung schwebte?

Im ersten Jahr war das schlimm. Diesen Alleingang kennt heute noch jeder und es ist, glaube ich, unumstritten die beste Szene eines Nicht-Tores. Das ist mittlerweile 35 Jahre her, aber den Leuten bleibt sowas natürlich in Erinnerung. Im Nachhinein konnte man aber auch positives aus der Sache ziehen: Die Leute haben immer gesagt: „Schau, dem Frankie kann sowas auch passieren“. Ich wollte einfach mal etwas verrücktes machen und meinen Freund Pierre Littbarski kopieren, der den Verteidiger ins Leere grätschen lässt…nur plötzlich war ich zu schnell und kam nicht mehr mit dem Fuß hinter den Ball. Das schlimme war, dass es mein erstes Spiel für Borussia Dortmund war. Das war der 9.August 1986. Zum Glück konnte ich noch etwas nachlegen.


1989 holten Sie den DFB-Pokal nach Dortmund. Nach über 20 Jahren war es der erste Titel, den die Dortmunder Fans bejubeln konnten. Erzählen Sie doch kurz von diesem Erlebnis in Berlin, als sie Werder Bremen besiegten.

Wir sind als Außenseiter in dieses Spiel gegangen, weil unsere Saison schwach war und wir auch ein schwieriges Halbfinale gegen den VfB Stuttgart hatten. Dann kamen wir ins Stadion und sehen die 40.000 Dortmunder. Alles in schwarz-gelb getaucht. Da war uns klar, wir haben eine riesige Chance. Ich habe da, glaube ich, das beste Spiel meines Lebens gemacht, zwei Tore vorbereitet, eins selbst gemacht und noch einen Ball von der Linie geholt. Das vergisst man nicht. Damals war die Nähe zu den Fans auch noch größer. Ich konnte z.B. drei, vier Jungs aus Essen in die Kabine holen. Dann saßen zwischen Schweiß, Handtüchern und nackten Männern noch ein paar Kumpels von mir. Heute ist sowas unvorstellbar.


Obwohl Sie ihre Treffsicherheit jahrelang konstant bewiesen haben, war das Thema Nationalmannschaft eher schwierig. Womit haben Ihnen die Nationaltrainer ihre häufigen Nichtberücksichtigungen begründet? An Ihrer Torquote kann es kaum gelegen haben.

Man muss da fair sein. Als ich angefangen habe, spielten Klaus Allofs und Karl-Heinz Rummenigge und ich war noch ziemlich jung. Rummenigge war zu der Zeit einer der besten Stürmer, weswegen es schwer für mich war. 1990 war Rudi Völler gesetzt, obwohl es für ihn vorher nicht so gut lief. Franz Beckenbauer hat aber an diesen Jungs festgehalten und das war völlig in Ordnung. Dann hatte man noch einen aufstrebenden Klinsmann. Ich habe mich bei vier Spielen warmgelaufen, wurde aber trotzdem nicht eingesetzt. Deswegen war ich aber nie böse. Natürlich hatte man sich nicht wirklich als Weltmeister gefühlt, wenn man nie gespielt hat. Heute ist das anders. Ich war in dieser Mannschaft immer völlig integriert und wir haben uns auch all die Jahre immer noch getroffen. Diese Truppe war sehr verbunden miteinander. Wenn man einen gebraucht hat, war immer jemand da. Das war eine richtig freundschaftliche Truppe. Ob das Icke Häßler war oder Thomas Berthold, es gab nie Neid oder Missgunst.


Also hat es Sie gar nicht getroffen, dass sie 1990 Weltmeister wurden, ohne eingesetzt worden zu sein?

Nein, hat es nicht. Ich hatte davor eine Bronzemedaille bei Olympia geholt, was für mich auch ein riesiges Ereignis war. Dort war ich Torschützenkönig und konnte eben meinen Teil dazu beitragen. Aber bei dieser Truppe von 1990 hat man den anderen auch immer Glück gewünscht und das auch ehrlich so gemeint. So eine Mannschaft, wie diese, habe ich nie wieder erlebt. Normal hat man immer 18 Jungs, die sich miteinander verstehen und dann noch zwei Stinkstiefel. In dieser Mannschaft gab es das nicht.


In den 80ern wurden Sie in einem Interview mal gefragt, was Sie von Frauenfußball halten und Sie antworteten, dass Sie noch keine schöne Fußballerin gesehen hätten. Früher haben solche Aussagen noch keinen Aufschrei in der Bevölkerung ausgelöst. Sie galten auch immer als offener und ehrlicher Typ. Glauben Sie, dass Sie heutzutage Ihre Meinung eher zurückhalten würden, um nicht anzuecken?

Erstmal: Es gibt mittlerweile ja sehr attraktive Fußballerinnen. Heute muss man aber wirklich sehr aufpassen, das Aussagen nicht direkt sexistisch rüberkommen. Heute würde ich so etwas wie damals natürlich nicht mehr sagen. Ich habe damals auch einfach so gesprochen, wie mir der Schnabel gewachsen war. Das mache ich heute zum Großteil auch noch, aber manche Dinge kann man einfach nicht von sich geben. Man bewegt sich da teilweise auf einem schmalen Grat. Wenn man als Spieler mal einen schlechten Tag hat, muss man trotzdem immer freundlich sein. Es wird bei Profifußballern eben mehr darauf geachtet, als bei anderen Menschen. Wenn man auf der Straße gegrüßt wird und hat es vielleicht nicht gehört, wird man schnell als arrogant bezeichnet.


In Düsseldorf beendeten Sie 1997 ihre Karriere, nachdem Sie die Fortuna noch in die Bundesliga geschossen haben und dort den Klassenerhalt feiern konnten. Bei welchem Verein hat es ihnen, unabhängig vom Erfolg, am besten gefallen?

Ich bin aus Essen, von daher hat es mir dort schon sehr gut gefallen. Ich muss aber sagen, dass Dortmund für mich als Ruhrgebietler einfach auch meine Welt war.


War es schwierig für Sie die große Fußballbühne zu verlassen?

Gut, ich war 39 und hätte z.B. in der Oberliga auch noch weiterspielen können. Damals habe ich in Düsseldorf noch anderthalb Jahre als Sportbeauftragter gearbeitet. Ich habe dann Klaus Allofs verpflichtet und der war in Düsseldorf ja eine Kultfigur. Meinen Job konnte er dann sozusagen mitmachen. Der den ich geholt habe, hat mich dann sozusagen rasiert. Aber so ist es eben im Fußball.


Sie haben in großartigen Stadien gespielt. Unter anderem im Celtic Park oder im Bernabeu. Was war Ihr schönstes Stadionerlebnis?

Da gab es viele. Ich bin z.B. 1986 im Maracana vor 180.000 Menschen eingewechselt worden, das war gewaltig. Aber das größte Stadionerlebnis war ein anderes. Ich habe Maradona in Buenos Aires gesehen, als er ganz jung war. Da haben wir 1:1 gespielt. Als er rauskam hat er sich nur mit einem Ball warmgemacht. Man stand da als deutscher Nationalspieler und hat Maradona beim Warmmachen zugeguckt. Da waren ca. 25 Journalisten um ihn herum und haben jede Bewegung von ihm dokumentiert. Das war schon verrückt. Der Celtic Park war auch nicht schlecht, da geht man durch die Katakomben und ein Spieler drückt sich noch schnell die Zigarette am Schuh aus.


Welcher Ihrer Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen?

Ich hatte einige sehr gute Trainer. Die beiden Großen – Jupp Heynckes und Ottmar Hitzfeld – waren auch die Besten. Unter Hitzfeld war ich nur schon 35 und ich konnte nicht verstehen, warum ich nicht mehr jedes Spiel machen konnte. Ich wurde dann oft eingewechselt und hatte das Glück immer noch ein Tor zu schießen, weshalb er mich immer wieder bringen musste. Die hatten beide wirklich sehr viel Ahnung von Fußball. Ristic war auch ein sehr guter Trainer und großer Fußballfachmann.


Hatten Sie einen Gegenspieler, der besonders unangenehm war?

Dimitrios Tsionanis von Waldhof Mannheim. Karls-Heinz Förster oder Jürgen Kohler waren auch schwer zu bespielen, aber ab und zu hat man doch ein Tor gegen die erzielt, weil die versuchten mitzuspielen. Aber Tsionanis hing an dir wie eine Klette und hat ununterbrochen provoziert. Privat sind das alles nette Kerle, aber auf dem Feld war er der Schlimmste.


Wer war zu Ihrer Zeit das größte Partytier im Profifußball?

Da gibt es schon ein paar Jungs. Früher konnte man auch noch mehr machen. Wir haben mal in Kaiserslautern verloren und sind mit dem Bus nach Hause. Der Trainer wurde irgendwo auf der Autobahn abgeholt und wir sind dann noch geschlossen in Trainingsklamotten in die Disco. Nach drei Stunden hat uns der Busfahrer dann ans Stadion gebracht, wo unsere Autos standen. Sowas ist heute undenkbar.


Zum Abschluss würde ich Ihnen gerne noch ein paar alte Weggefährten nennen und Sie darum bitten, in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen, etwas zu ihnen zu sagen.

Horst Hrubesch: Vorbild

Lothar Matthäus: Großer Fußballer, netter Kerl und hat es auch in seinem neuen Job weit gebracht.

Wolfram Wuttke: Mein Spezi, mit ihm habe ich mir vier Jahre ein Zimmer geteilt. Er ist leider viel zu früh verstorben. Wutti war ein Schlitzohr vor dem Herrn und riesiger Fußballer. Er hätte aus seinem Talent noch viel mehr machen können.

Andreas Möller: Ein großer Spieler und genialer Fußballer mit einer riesigen Anzahl an Titeln. Mittlerweile macht er einen richtig guten Job in der Nachwuchsabteilung von Eintracht Frankfurt. Ein feiner Kerl und sehr zuverlässig.

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