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Interview mit Norbert Dickel

"Kohler und Dickgießer - das waren zwei Klopper."

Norbert Dickel wurde in Dortmund zur Ikone, weil er trotz schwerer Verletzung im Pokalfinale gespielt hat und zwei Tore zum Sieg beisteuerte. Danach war die Karriere zu Ende. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

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von Nico Petrowsky


Norbert Dickel, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere machten und heute beruflich machen?
Das ist schon so lange her, da gab es noch fast Schwarz-Weiß-Fernsehen. Das war 1990. Zuerst habe ich für eine Firma in Wuppertal gearbeitet, die hat Antriebstrommeln für Förderbandanlagen hergestellt. Da war ich im Vertrieb und ich weiß auch bis heute noch nicht, was das überhaupt genau ist. Dann war ich ein Jahr bei einem Sportartikel-Hersteller und danach habe ich mich selbstständig gemacht mit Küchen. Also ich habe innerhalb von drei Jahren drei neue Sachen gemacht und all das hat mir geholfen den Job bei Borussia Dortmund möglichst gut zu machen. Bei dem Sportartikelhersteller hatte ich z.B. jeden Tag eine Menge Kunden, bei dem Küchenverkauf musste ich mich in eine neue Materie einarbeiten und hatte mit verschiedensten Leuten zu tun, wobei man eben lernt mit Menschen umzugehen und etwas zu verkaufen. Schließlich bin ich dann im Januar 1996 wieder zu Borussia Dortmund zurückgekehrt und war seitdem in verschiedenen Funktionen für den BVB tätig, hatte aber immer im Bereich Stadion- und Öffentlichkeitsarbeit zu tun. Im Moment bin ich zuständig für das BVB-TV, für die Stadionsprecherei – sprich das Entertainment am Spieltag und das Netradio.


Kommen wir zu Ihrer Karriere. Sie kamen erst relativ spät zum Profifußball. Mit 22 Jahren hat Sie 1984 der 1. FC Köln unter Vertrag genommen. Wie kam es zu dem Kontakt und der Verpflichtung?
Ich habe in dieser Zeit jede Woche, dienstags und mittwochs, bei Bayer Uerdingen trainiert. Da waren Reinhard Roder und Timo Konietzka Trainer und die konnten sich nicht so richtig entscheiden. In dem Jahr habe ich 38 Tore in der Oberliga gemacht und ich habe gefragt, ob ich jetzt 10 Jahre lang immer nur Dienstag und Mittwoch zum Training kommen soll, oder ob mal etwas passiert. Ich habe das dann so fünf, sechs Wochen gemacht und dann kam der Anruf, wir könnten am Wochenende zum Effzeh fahren und für zwei Jahre unterschreiben. So bin ich zum FC Köln gekommen.


Sie hatten eine Handwerks-Ausbildung absolviert und sich bei der Bundeswehr verpflichtet. Sie standen also mit beiden Beinen im soliden Berufsleben.
Das stimmt schon. Ich habe eine Lehre gemacht als Werkzeugmacher, denn ich gehöre zu geburtenstarken Jahrgängen. 1961 war sehr geburtenstark und da überhaupt eine Lehrstelle zu finden war nicht ganz einfach. Da habe ich allerdings nachher nur noch drei Monate gearbeitet und habe mich dann für vier Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet. Ich habe damals meinem Hauptmann May gesagt, dass ich eventuell Fußballprofi werden kann und dann sagte dieser: "Man kann die Zeit vielleicht auf zwei Jahre verkürzen, aber nur, wenn du zum 1. FC Nürnberg gehst." Den Wunsch konnte ich ihm leider nicht erfüllen. Ich suche den Hauptmann May übrigens immer noch, vielleicht finde ich ihn ja auf diesem Weg!


Haben Sie als damaliger Oberliga-Spieler überhaupt noch auf eine Profikarriere gehofft oder kam diese überraschend?
Das kam überraschend. Ich war ja nicht der große Techniker wie Pierre Littbarski oder Icke Häßler, sondern ich war ja eher so ein Grobschmied aus dem Sauerland. Aber ich habe eben gewusst wo das Tor steht und habe zum Glück immer viele Tore geschossen, egal wo ich gespielt habe.


Wie fühlte es sich an, als Sie plötzlich Ihr Hobby zum Beruf gemacht haben?
Ja erstmal aus dem beschaulichen Bad Berleburg ins große Köln zu gehen, ist schon etwas Besonderes. Das war schon eine kleine Sensation für das Wittgensteiner Land, weil ich der Erste aus Wittgenstein war, der es geschafft hat, Profi zu werden. Das war sicherlich etwas Besonderes.


Können Sie sich an die Höhe Ihres ersten Profigehalts erinnern?
Natürlich kann ich das. 4500 Mark brutto. Das sind die sogenannten Millionärsgehälter.


Beim 1. FC Köln kamen Sie in der ersten Saison nur sporadisch zu Einsätzen. Bereuten Sie Ihre Entscheidung pro Fußballerkarriere damals schon oder befürchteten Sie sogar, dass Ihre Karriere schon wieder am Ende war, bevor sie richtig begonnen hatte?
Ich hatte mich relativ schnell verletzt und hatte am rechten Knie eine Meniskusoperation über mich ergehen lassen müssen. Aber nichtsdestotrotz, ich bin beim 1.FC Köln irgendwann eingewechselt worden am ersten Spieltag bei Eintracht Braunschweig, da haben wir 3:1 gewonnen. Da bin ich so in der 88. Minute reingekommen und habe noch die Siegprämie, die wurde damals in voller Höhe ausgezahlt, bekommen. Da habe ich zu meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau gesagt: "In dem Job muss ich bleiben, das ist echt viel Geld." Aber natürlich nicht zu vergleichen mit dem was es heute gibt.


Zum Ende Ihrer Zeit in Köln hatten Sie noch ein echtes Highlight, als Sie im UEFA-Cup Endspiel 1986 im Bernabeu-Stadion gegen Real Madrid vor 85.000 Zuschauern in der Schlussphase eingewechselt wurden. Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?
Du spielst gegen Camacho! Nein, das war natürlich etwas ganz Besonderes. Ich hatte zwar schon bei Borussia Dortmund unterschrieben, übrigens für die 1. und die 2. Liga, aber das war schon der absolute Wahnsinn im UEFA-Cup Endspiel zu stehen. Wir mussten das Rückspiel in Berlin austragen, weil es im Halbfinale Ausschreitungen gab und wir deswegen nicht in Köln spielen durften. Das war natürlich nicht ganz so toll.


Real Madrid hatte Weltklasse-Spieler wie Hugo Sanchez, Butragueno, Valdano und Camacho in seinen Reihen. Waren sie cool oder ist man als junger Spieler besonders nervös, wenn man mit solchen Spielern auf dem Platz steht?
Ich glaube, dass es heute noch so ist. Wenn man gegen Real Madrid spielt ist man aufgeregt. Aber ich war eh vor jedem Spiel aufgeregt. Also war es egal, ob der Gegner Real Madrid war oder die Sportfreunde Eisbachtal.


1986 wechselten Sie zum BVB. In Ihrer ersten Saison gelangen Ihnen gleich 20 Tore. Warum lief es in Dortmund auf Anhieb so deutlich besser als in Köln?
Nun, in Köln waren meine Konkurrenten im Sturm Klaus Allofs und Pierre Littbarski. Beide gestandene Nationalspieler und ich kam gerade aus dem Sauerland. In den zwei Jahren habe ich trotzdem Bundesligaluft geschnuppert und bin selbstbewusst an die Sache rangegangen. Deswegen hat es beim BVB auch von Anfang an gut funktioniert. Das war einfach eine Fügung und das sollte so sein. Für mich persönlich ein absoluter Glücksgriff.


Wer hat aus Dortmund mit Ihnen Kontakt aufgenommen und mit wem haben sie verhandelt?
Damals lief das noch so, dass einer gesagt hat: "Ich kenne einen, der einen kennt usw." Der Berater Heinz Slupek kannte den Dr. Rauball ganz gut und dann haben wir eben telefoniert. Das war damals der Wechsel von Dr. Rauball zu Dr. Niebaum 1986. Wir haben uns dann sonntags getroffen. Ich wollte dann nochmal eine Nacht drüber schlafen, aber auf dem Nachhauseweg wollte ich schon gar nicht mehr drüber schlafen. Als ich zuhause war, habe ich direkt angerufen und gesagt, dass ich nach Dortmund will.


Hat sich Franz Beckenbauer nie bei Ihnen gemeldet wegen dem Thema Nationalmannschaft? Schließlich trafen Sie in Ihrer ersten Saison für Dortmund häufiger als die Nationalspieler Jürgen Klinsmann, Klaus Allofs oder Herbert Waas.
Nein. Aber ich glaube nach dem Pokalendspiel 1989 wäre ich zum nächsten Lehrgang eingeladen worden. Das hat mir Bernd Restle, der mich zum Pokalendspiel fit gemacht hat, Jahre später gesagt. Restle hat auch beim DFB gearbeitet. So steht in meiner Vita ein U21-Spiel und zwei Spiele bei Olympia.


Spätestens 1989 wurden Sie zur Legende beim BVB, nachdem Sie trotz einer schlimmen Knieverletzung im DFB-Pokalendspiel gegen Werder Bremen aufliefen und den BVB mit zwei Treffern zum ersten Titel seit über 20 Jahren schossen. Wollten Sie spielen oder wurden Sie gedrängt?
Ich habe sechs Wochen im Rehazentrum verbracht, nur um bei diesem Spiel dabei zu sein. Es gibt viele, die nie ein Endspiel machen oder einen Titel holen und ich habe gedacht: "Stell dir vor, wir werden Pokalsieger und du sitzt nur auf der Bank, das wäre doch der Hammer." Und deswegen habe ich alles dafür getan. Ich bin einen Tag vor dem Endspiel ins Training zurückgekehrt und das hat ganz gut funktioniert. Irgendwann kam dann die Frage auf, wer denn spielen soll. Bernd Storck noch mit in der Abwehr oder Nobby vorne drin? Dann haben der heutige Sportdirektor Michael Zorc und der damalige Manager Klaus Gerster auf den Trainer eingeredet, wir könnten uns doch nicht von den Bremern abschießen lassen. Der Nobby soll so lange vorne spielen, wie es eben geht und dann schauen wir mal. Das hat zum Glück ganz gut funktioniert. Und ohne dieses Spiel würden wir heute wohl nicht miteinander sprechen.


Nach diesem Spiel kamen Sie nicht mehr auf die Beine und mussten Ihre Karriere mit 28 Jahren schon beenden. Hatten Sie Existenzängste? In den 80ern hatten die wenigsten Spieler nach einer so kurzen Karriere ausgesorgt.
Auf keinen Fall hatte ich ausgesorgt. Das Schlimme war noch, dass ich im Mai 1989 noch ein Haus gekauft hatte in Werl und die ganze Finanzierung war natürlich darauf ausgelegt, dass ich noch ein paar Jahre spiele. Das war eine nicht ganz einfache Situation. Heutige Fußballer können sich das wahrscheinlich nicht vorstellen. Da musste man teilweise schon schauen, wie man die Raten bezahlt.


Glauben Sie heute, dass es ein Fehler war in dem Finale zu spielen oder hätte es nichts daran geändert, dass Sie Sportinvalide geworden wären?
Letzteres. Das Finale hatte keinen Einfluss darauf. Ich habe immer geglaubt, dass es am nächsten Tag besser wird. Und das glaube ich auch heute noch, obwohl ich mittlerweile ein künstliches Gelenk habe. Es ist aber einfach nicht besser geworden, weil es eben kaputt war. Es ist einfach so, wie es ist.


War es schwierig für Sie die große Fußballbühne zu verlassen?
Das war schon schlimm. Ich habe ja auch richtig gerne Fußball gespielt und nicht nur, weil ich damit Geld verdient habe. Das hat mir einfach Bock gemacht und auf einmal bekommt man gesagt, man darf keinen Fußball mehr spielen, weil sobald du gegen einen Ball trittst, geht dein Knie noch mehr kaputt. Das ist schon ätzend und das hat mich auch ziemlich mitgenommen und geschockt. Das war für mich keine schöne Zeit, auch weil ich aus den eben genannten Gründen auch auf das Geld angewiesen war. Sonst hätte ich das Haus nach einem halben Jahr wiederverkaufen können. Aber zum Glück haben wir alles gut hinbekommen. Ich war auch in meinem Berufsleben, wie im Fußball, sehr ehrgeizig. Sei es im Vertrieb von Antriebstrommeln, beim Sportartikelhersteller oder dem Küchenverkauf. Ich war überall ziemlich erfolgreich, weil alles was ich gemacht habe, bin ich mit sehr viel Ehrgeiz angegangen. Am Ende zahlt es sich auch immer aus, wenn man so bleibt, wie man ist. Das war und ist vielleicht mein größter Vorteil, dass ich immer bodenständig geblieben bin.


Können Sie sich noch daran erinnern, wo und wie der Pokalsieg gefeiert wurde?
In einem Hotel. Aber da waren irgendwann so viele Leute da, dass jeder einen Sitzplatz hatte, außer der Mannschaft. Das war uns aber relativ egal, wir wollten einfach nur ein bisschen feiern und hatten eine unfassbare Nacht. Mit dem BVB nach so vielen Jahren Pokalsieger zu werden ist wirklich unglaublich und ein absolutes Highlight im Leben.


Wer war der größte Partyhengst in Ihrer Zeit als Fußballprofi?
Ich habe da den ein oder anderen schon kennengelernt. Irgendwie waren wir das alle. Wir sind auch nach den Spielen mit unseren Frauen immer in Diskotheken gegangen. Einmal sind wir mit 14 Spielern gemeinsam nach dem Spiel noch weggegangen. Der Zusammenhalt war schon etwas ganz Besonderes.


Gab es einen Mitspieler, der Sie beeindruckt hat?
Beeindruckt war ich z.B. von Thomas Helmer, weil ich mich mit ihm immer so gut verstanden habe. Ich bin auch Patenonkel von seinem ersten Kind. Fußballerisch natürlich auch Andy Möller. Er war ein außergewöhnlicher Fußballer. Aber auch Murdo MacLeod war ein Fighter vor dem Herrn und ein toller Typ. Günter Breitzke war, wie Pierre Littbarski, ein super Techniker, der in meinen Augen viel zu wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht hat, weil er einfach ein fantastischer Fußballer war. Michael Lusch habe ich viel zu verdanken. Der hat mir von rechts immer die Bälle auf die Birne gehauen. So lange bis der Ball im Tor war. Wolfgang de Beer im Tor war auch spitze. Michael Zorc war auch ein außergewöhnlicher Fußballer. Also wir hatten schon eine gute Truppe.


Wer war Ihr unbequemster Gegenspieler?
Da gibt es vielleicht zwei. Zum einen Ditmar Jakobs und zum anderen Charly Körbel. Das waren zwei harte Knochen – aber die waren nie unfair. Also wir sind auch heute ja noch alle ein wenig befreundet. Richtig unangenehm waren auch Kohler und Dickgießer von Mannheim – das waren zwei Klopper. Wobei Jürgen Kohler bis heute sagt, er wäre nie mein Gegenspieler gewesen, weil ich gegen Mannheim mal drei Tore geschossen habe.


Welcher Ihrer Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen?
Hannes Löhr, Georg Kessler, Reinhardt Saftig und Horst Köppel. Ich glaube am meisten gefördert hat mich Elmar Müller von den Sportfreunden Siegen. Der hat nie aufgegeben und gesagt, „Norbert du kannst das schaffen.“ Der hat mit mir trainiert wie ein Wahnsinniger, hat mich vorher zum Training gebeten, hat mich nachher zum Training gebeten. Für das, was der alles gemacht hat, bin ich heute noch dankbar.


Sie haben in legendären Stadien wie dem Celtic Park von Glasgow und Bernabeu in Madrid gespielt. Welches Stadion, abgesehen vom Westfalenstadion, war das Schönste, in dem Sie gespielt haben?
Die zwei genannten waren schon klasse. Gegen Celtic Glasgow zu spielen war etwas ganz Besonderes, weil seitdem auch eine große Fanfreundschaft besteht. Natürlich war es auch toll in Madrid zu spielen.


1992 wurden Sie Stadionsprecher beim BVB. Wie kam es zu diesem Job?
Der Präsident hatte wohl ein bisschen Ärger mit dem vorherigen Stadionsprecher. Er hat mich dann angerufen und gesagt, dass sie einen neuen Stadionsprecher bräuchten und der auch direkt am Samstag anfangen müsse. Und dann hieß es: "Nobby, komm am Samstag mal und dann besprechen wir alles!" So läuft das bei Dortmund.


Was ist die kurioseste Geschichte, die Sie als Stadionsprecher erlebt haben?
Oh, da gibt es einige. Ich verbinde das natürlich immer mit dem Sportlichen. Das Spiel gegen Malaga war etwas ganz Besonderes oder auch generell Spiele, die in den letzten Minuten entschieden werden, sind immer großartig. Aber es gibt auch keinerlei negative Erinnerung an irgendetwas.


Ich würde Ihnen gerne einige Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu ihnen zu sagen.
Pierre Littbarski: Heute noch ein guter Freund, der mir in Köln sehr viel geholfen hat.


Thomas Hässler: Einer der begnadetsten Fußballer, der mit mir zusammen Profi geworden ist und einfach ein unfassbarer Kicker war.


Frank Mill: Mein Sturmpartner bei Borussia Dortmund. Ich groß, er klein, ich zurückhaltend, er große Fresse. Nein, stopp. Wir haben uns auf dem Platz sehr gut verstanden und voneinander sehr profitiert.


Andy Möller: Vielleicht der beste Mitspieler, den ich je hatte.


Rainhard Saftig: Mein Trainer, mit dem ich mich heute noch flaxe und sage, warum hast du mich die ersten sieben Spiele nicht von Anfang an aufgestellt. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er damals unser Trainer war und er an mich geglaubt hat.


Als Norbert Dickel zur Legende wurde

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