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Interview mit Thomas Kempe

"Da bin ich am nächsten Tag öfter mal mit einem Auge nach Bochum ins Training gefahren."

Thomas Kempe wurde mit dem VfB Stuttgart 1984 deutscher Meister. Er war auch für den MSV Duisburg und den VfL Bochum in der Bundesliga am Ball. Er hat uns von seiner langen Karriere erzählt und davon, dass er seine Sperre, im Pokalfinale 1988 mit Bochum, bis heute nicht richtig verarbeitet hat.

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von Nico Petrowsky


Thomas Kempe, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere machten und heute beruflich machen?
Ich habe mir noch während meiner Zeit als Profi ein Fitnesscenter aufgebaut. Außerdem habe ich für meine Familie ein Mehrfamilienhaus gebaut. Ich komme nämlich aus einer Arbeiterfamilie – mein Vater hat z.B. unter Tage gearbeitet – und wollte meinen Eltern auch etwas zurückgeben. Neben dem Fitnesscenter hatte ich auch noch zwei Sonnenstudios und auch ein paar Geschäfte mit Immobilien gemacht.


Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Gehören Stadionbesuche dazu?
Klar, ich war fast immer im Stadion und habe oft die Spiele meiner Söhne in Darmstadt, Karlsruhe oder Aue angeschaut. Wenn ich konnte, bin ich immer zu den Spielen gefahren. In Bochum war ich auch häufig, weil dort eben oft die “Legenden” eingeladen wurden.


Kommen wir zu Ihrer Karriere. Sie wechselten als 19-Jähriger aus der unteren Amateurklasse in die Bundesliga zum MSV Duisburg, wo Sie direkt Stammspieler waren. Wie wurden Sie von den etablierten Spielern um MSV-Legende „Enatz“ Dietz aufgenommen?
Ich hatte meine Lehre als Rohrinstallateur gerade zu Ende gemacht und Friedhelm Voss, der in den 60er und 70er Jahren mal Lizenzspieler in Duisburg war, meinte, er könne mir etwas organisieren. Ich hatte in der B- und A-Jugend gute Runden gespielt und der MSV wollte mich schon vorher verpflichten. Da bin ich aber nicht drauf eingegangen, weil ich meine Freunde nicht verlassen wollte und noch ziemlich heimatverbunden war. Als ich dann 18 war habe ich aber mal ein Probetraining gemacht. Enatz Dietz, Rudi Seliger und die anderen Spieler waren ja auch meine Idole und die haben mich auch alle super aufgenommen.


In Ihren ersten fünf Bundesligaspielen trafen Sie gleich fünffach. Wer achtete darauf, dass Sie als 19-jähriger Jungspieler nicht abhoben?
Als ich gekommen bin gab es einen Trainerwechsel von Rolf Schafstall zu Heinz Höher. Heinz Höher hatte ein sehr gutes Auge für Talente. Für mich hat sich da die Frage gestellt, wie ich am besten auf mich aufmerksam mache, um irgendwann mal Stammspieler zu werden. Heinz Höher hat mich sehr gefördert, aber auch am Boden gehalten und ich habe ein paar gute Vorbereitungsspiele gemacht. Auf einmal war ich dann drin. Als die Bundesliga losging, kam Höher auf mich zu und meinte nur: “Du spielst morgen”. Das erste Spiel war gegen Stuttgart, wo unter anderem Hansi Müller oder Karl-Heinz Förster spielten. Da vor 20.000 Leuten ein Tor zu erzielen war schon der Wahnsinn.


1982 stieg Duisburg aus der Bundesliga ab und Sie schlossen sich dem sehr ambitionierten VfB Stuttgart an. Nach einem starken dritten Platz in Ihrer ersten Saison, folgte die deutsche Meisterschaft. Würden Sie die Meisterschaft als Höhepunkt ihrer Karriere bezeichnen? 
Ja, der Höhepunkt war das schon. Allerdings war es auch ein weiter Weg dorthin. In der Saison 83/84 hatte ich eine schwere Knieverletzung. In der Vorrunde konnte ich ca. 13, 14 Spiele machen und danach wurde ich operiert, wodurch ich eben ausgefallen bin. An der Mannschaft war ich dennoch nah dran und somit kann ich auch sagen, dass die Meisterschaft der Höhepunkt meiner Karriere war.


Obwohl Sie auch im dritten Jahr beim VfB Stammspieler waren, wechselten Sie danach zum VfL Bochum, der als graue Maus galt. Warum gingen Sie diesen Schritt?
Das Problem war, dass 1984 mein Vertrag auslief. Ich habe mit den Offiziellen gesprochen, die mir wegen meiner langen Verletzung nur einen Einjahresvertrag geben wollten - mit der Option auf zusätzliche 2 oder 3 Jahre, sollte ich es wieder schaffen Stammspieler zu werden. Dann kam es allerdings anders. Ich war wieder Stammspieler und habe mich deswegen nochmal nach meinem Vertrag erkundigt – auch weil mir mein Gehalt um die Hälfte gekürzt wurde. Darum ging es mir aber gar nicht, sondern nur um das Prinzip. Man wollte mir den Vertrag nicht wirklich verlängern, mit der Begründung ich wäre zu verletzungsanfällig. Rolf Schafstall, der in Bochum Trainer war und mit dem ich noch sehr verbunden war, hat mich dann angerufen. Von Borussia Dortmund hatte ich auch noch ein Angebot vorliegen. Rolf Schafstall hat mich schließlich überzeugt und ich bin nach Bochum gefahren. Dort habe ich mich wieder richtig hochgearbeitet.


Mit dem VfL Bochum ging es meist nur gegen den Abstieg. 1988 schafften Sie allerdings den Sprung ins DFB-Pokalfinale, in dem Sie gesperrt fehlten. Wie haben Sie ihr Fehlen in einem der größten Spiele der VfL-Geschichte verkraftet? 
Da habe ich meine zweite Gelbe Karte gegen Hamburg bekommen. Verkraftet habe ich das nie so richtig, selbst heute noch nicht. Das Schicksal wollte es so. Es sollte einfach nicht sein.


Nach acht Jahren beim VfL Bochum stiegen Sie ab und mussten Ihre Karriere verletzungsbedingt beenden. Ist es Ihnen schwergefallen vom einen auf den anderen Tag von der großen Fußballbühne zu steigen?

Ich hatte es nach einer Kreuzband-OP nochmals versucht und hatte Hoffnung, dass ich vielleicht nochmal Fuß fassen kann. Ich wusste, dass wir mit der Mannschaft wieder aufsteigen würden und ich habe auf dieses Ziel hingearbeitet. Von Verein und Trainer hatte ich auch die volle Unterstützung. Leider hat es nicht mehr funktioniert. Am Ende hatte es dann einfach keinen Wert mehr und ich musste meine Karriere beenden. Meine Karriere war trotzdem sehr erfolgreich. Ich hätte vielleicht noch mehr erreichen können, aber so ist es nun mal im Leben.


Wo hat es Ihnen als Spieler in Ihrer Karriere unabhängig vom Erfolg am meisten Spaß gemacht? Welche Stadt hat Ihnen am besten gefallen? 
Ich bin ja ein Straßenjunge aus dem Pott und hatte hier schon als Jugendlicher ein super Leben. Dass ich überhaupt so eine Karriere hinlegen konnte, war schon sensationell. Alle drei Stationen waren deswegen super. Zum MSV habe ich eine ganz besondere Verbindung. Mein Sohn Fabrice spielt dort auch in der Jugend. Mit dem VfB Stuttgart bin ich Meister geworden und habe UEFA-Cup gespielt. Die schönste Zeit hatte ich aber wahrscheinlich in Bochum. Wenn ich dort heutzutage hinkomme, kennt mich noch jeder. Dort war meine geilste Zeit. An den Spieltagen werden bei mir immer zuerst die Ergebnisse von Bochum, Duisburg und Stuttgart gecheckt.


Gibt es Spiele oder Szenen, die Ihnen immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Bei 391 Bundesligaspielen gab es natürlich einige besondere Momente. Am eindrucksvollsten waren sicherlich die 5 Tore zum Auftakt beim MSV. Gerade gegen den HSV, wo man gegen Kevin Keegan oder Felix Magath gespielt hat. Da werde ich heute noch drauf angesprochen und das war schon ein großes Erlebnis.


Stehen Sie noch mit ehemaligen Mannschaftskameraden in Kontakt oder haben sich gar Freundschaften entwickelt, die sie heute noch pflegen?
Da gibt es noch einige. Mit den Bochumer Jungs haben wir z.B. unsere Traditionsmannschaft. Ab und zu treffe ich mich auch noch mit Lothar Woelk oder Michael Rzehaczek. Rzehaczek war mein bester Kumpel, mit dem ich mir auch immer ein Zimmer geteilt habe und einiges durchgestanden habe. Vor drei Jahren habe ich auch mal mit Karl-Heinz Förster oder Hermann Ohlicher auf der Tribüne gesessen und über alte Zeiten erzählt. Die Jungs werden ja auch älter und es ist immer ganz schön, wenn man sich nochmal gemeinsam an alte Zeiten erinnern kann.


Ärgert es Sie heute, dass Sie trotz einer gewonnenen deutschen Meisterschaft und konstant guten Leistungen nie für die Nationalelf nominiert wurden?
Ich hatte immer das Pech, dass ich vor Weltmeisterschaften verletzt war. 1982 stand ich im erweiterten 40er Kader und habe mir dann eine Bänderverletzung zugezogen. Ich habe dem aber nie großartig nachgetrauert, es war eben einfach so. Der VfL Bochum hatte auch nicht so die Strahlkraft, weil es oft gegen den Abstieg ging. Da hatten die Jungs von anderen Vereinen oft die Nase vorn. 1990 war ich der beste Libero in Deutschland gewesen, aber Beckenbauer hat mich wegen fehlender internationaler Erfahrung nicht berücksichtigt und Paul Steiner mitgenommen. Wahrscheinlich hätte ich sowieso nicht gespielt, aber ich hätte mich Weltmeister nennen können. So ist das Leben aber und ich habe da absolut kein Problem mit.


Sie haben viele Trainer erlebt. Unter anderem Helmut Benthaus, Hermann Gerland oder Rolf Schafstall. Welcher Ihrer Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen?
Schwer zu sagen. Helmut Benthaus kam ja auch aus dem Ruhrpott und das hat mit mir dann gut gepasst. Insgesamt waren aber alle meine Trainer super. Natürlich gab es aber auch mal Differenzen. Mit Reinhard Saftig kam ich auch sehr gut aus und er hat mich zum Kapitän gemacht. Rolf Schafstall hatte ich nur anderthalb Jahre, dann wechselte er nach Schalke und er wollte mich auch dorthin lotsen. Rolf hatte unglaublich viel Ahnung von Fußball. Heinz Höher war zwar etwas verschlossen, aber ein unglaublicher Taktiker und was er gesagt hat, das hatte Hand und Fuß. Holger Osieck kam dann 1990 und er war nicht nur ein super Trainer, sondern auch ein super Mensch. Aber er kam als Weltmeister-Co-Trainer und da gab es ab und an mal ein wenig Disput. Nationaltrainer und Bundesligatrainer sind eben zwei unterschiedliche Dinge. Hermann Gerland hat einem auch öfter mal in den Arsch getreten und man hat ihn deswegen manchmal gehasst. Ich habe mir nie was sagen lassen und da wurde es im Training auch mal lauter. Dann durfte man auch mal extra Runden laufen. Aber danach war dann auch wieder alles aus der Welt und Hermann ist einfach ein super Typ.


Sie sind durch zwei Ihrer Söhne, die beide Fußballprofi sind, noch nah am Profifußball dran. Heute sitzen Spieler mit Kopfhörern und Smartphone im Mannschaftsbus und wechseln deutlich häufiger den Verein. Gab es damals einen besseren Zusammenhalt, eine bessere Kameradschaft in einer Mannschaft?
Das glaube ich schon. Allerdings ist die heutige Zeit so und meine Zeit ist ja auch schon 30 Jahre her. Damals gab es auch schon Cliquen und man hat gepokert oder Karten gespielt. Mit dem ein oder anderen ist man auch mal nicht so gut ausgekommen. Man kann an der heutigen Zeit allerdings nichts ändern und das habe ich auch meinen Söhnen gesagt. Ich finde das heute auch ab und an etwas übertrieben, aber wenn ich in der heutigen Zeit Profi wäre und würde mit 20 Jahren Millionen im Jahr verdienen, dann wäre ich vielleicht genauso. Heute gibt es eben auch einige Söldner, die den Verein ständig wechseln für ein paar Euro mehr. Auf der anderen Seite gibt es aber auch außergewöhnliche Spieler, die extrem hart arbeiten und es deswegen auch verdienen. Ich denke es soll jeder machen, was er will. Als Profi gerät man heute leicht in Verruf, da der Druck von außen viel größer ist. Mir hat man damals auch öfter mal nachgesagt, ich wäre arrogant. Aber ich wusste, wo ich herkam – nämlich von der Straße. Früher habe ich als 10-Jähriger mit den 14-Jährigen gespielt und da hat man sich auch mal gekloppt oder eins hinter die Löffel bekommen. So war das früher und das habe ich auch als Profi nie vergessen.


Wer war ihr trinkfestester Mitspieler während Ihrer Karriere? 
Da gibt es einige. Wir waren eigentlich alle ziemlich trinkfest und es hat nie jemand reingespuckt. Heute gibt es das ja fast gar nicht mehr. Früher hat man nach dem Spiel mal drei, vier Pils getrunken und hatte dann direkt einen sitzen, weil man vorher 90 Minuten gerannt und dementsprechend platt war. Dann ist man nach Hause zu der Familie und hat vielleicht noch ein Bier getrunken und konnte dann ins Bett gehen. Man hat auch mal eine Party gefeiert oder ist in die Disco gegangen. Man war öfter inkognito unterwegs und ist durch den Hintereingang rein. Wenn wir Party gemacht haben, dann eben auch richtig. Da bin ich am nächsten Tag öfter mal mit einem Auge nach Bochum ins Training gefahren. Aber mein Vater hat schon immer gesagt: Wer Feiern kann, der kann auch arbeiten.


Glauben Sie, dass Sie in Ihrer Karriere alles richtig gemacht haben oder gab es Dinge, die Sie heute anders machen würden?
Ich glaube ich habe nicht alles richtig gemacht, aber vieles. Ich hatte das Problem, dass ich viele Verletzungen hatte. Sonst hätte ich vielleicht auch mal ein Spiel für die A-Nationalmannschaft gemacht. Es war schon frustrierend, wenn man dann durch eine Verletzung aus der Bahn geworfen wurde. Mein Ziel waren immer 400 Bundesligaspiele zu machen. Das hat nicht ganz funktioniert, aber trotzdem hatte ich eine tolle Karriere. Ich habe immer gut gewirtschaftet und gut gelebt – heute kann ich immer noch gut leben und bin von niemandem abhängig. Ich habe super Kinder und hatte super Frauen - jetzt habe ich wieder eine super Frau. Mittlerweile bin ich 61 und immer noch fit, deswegen bin ich sehr zufrieden. Meine Familie und ich sind gesund und das ist die Hauptsache. Meine Söhne haben es auch geschafft. Mein Sohn Fabrice ist auf einem guten Weg und hat einen U19 Vertrag unterschrieben. Ihn begleite ich aktuell noch und dann sehen wir mal, ob er auch den Sprung zum Profi schafft. Ich würde es ihm sehr wünschen, aber im Endeffekt habe ich ihm auch gesagt: Schau, dass du dein Abi machst und der Rest wird dann kommen.


Wer war Ihr unbequemster Gegenspieler?
Das war Lothar Woelk. Ich war als Frischling beim MSV und wir haben gegen Bochum gespielt. Woelk hat mich da an der Seite einmal abgeräumt und ich habe drei Rollen gemacht. Danach kam er zu mir und sagte zu mir: „Pass auf Kempe, spiel jetzt richtig oder du bekommst das gleiche nochmal. Provozier mich nicht.” In Bochum waren wir dann enge Freunde. Vor ihm hatte man aber großen Respekt. Auch die Förster Brüder kannten kein Erbarmen.


Zum Abschluss würde ich ihnen gerne ein paar ehemalige Weggefährten nennen und Sie darum bitten, aufgrund von persönlichen Erfahrungen, einen Satz zu ihnen zu sagen.

Jürgen Klinsmann: Ein sympathischer Typ und ein super Stürmer. Er war Schwabe, ich Nordrheinwestfale, da hat es natürlich ab und zu mal geklatscht.


Klaus Fischer: Ich hatte die Ehre mit ihm noch ein Jahr beim VfL Bochum zusammen zu spielen. Ein super Typ und absoluter Vollprofi. Später war er dann mein Co-Trainer und das war eine andere Situation und man hat sich ab und an in die Haare gekriegt.


Thorsten Legat: Wir haben eine spezielle Verbindung und telefonieren heute noch oft und sehen uns auch oft bei den Traditionstreffen. Immer geradeaus, ein bisschen verrückt, aber ein super Typ.


Guido Buchwald: Guido war immer ein wenig verschlossen. Wir hatten privat wenig Kontakt, aber auf dem Platz waren wir immer eine Mannschaft. Er ist Weltmeister und hat viel für Deutschland geleistet. Er hat viel aus seinem Talent gemacht, obwohl er nicht der größte Techniker war. Da kann man nur den Hut ziehen. Ein guter Typ.

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Spielerstationen:

1979 - 1982     MSV Duisburg

1982 - 1985     VfB Stuttgart            Deutscher Meister 1984

1985 - 1993     VfL Bochum            



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