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Interview mit Jürgen Rollmann

"Plötzlich kamen Angebote, die mein Ehrgefühl berührt haben."
Jürgen Rollmann war Bundesliga-Torwart bei Werder Bremen und dem MSV Duisburg.  Mit Werder wurde er 1991 DFB-Pokalsieger und gewann 1992 den Europapokal.

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von Mario Gailing
Jürgen Rollmann, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was du im Anschluss an deine Karriere gemacht hast und heute beruflich machst?
Mit dem Begriff Karriere konnte ich noch nie viel anfangen. Schon vor der Unterschrift unter meinen ersten Profivertrag habe ich journalistisch gearbeitet. Diese Tätigkeit habe ich immer parallel zum Fußball ausgeübt. Und danach ebenfalls – wenn auch in Funktionen wie Pressesprecher, Leiter Kommunikation oder Kommunikationsberater nicht immer streng rein journalistisch. Seit knapp zwei Jahren bin ich Sportdirektor des Deutschen Dart-Verbandes und kümmere mich auch hier mit um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.  

Was machst du in deiner Freizeit? Gehören Stadionbesuche dazu?
Ich verfolge den Fußball weiterhin intensiv. Über zehn Jahre war ich zudem Trainer von Jugend- und Seniorenmannschaften. Ab und zu bin ich in Stadien, aber eher in den unteren Ligen, z.B. bei meinem Heimatverein Kickers Offenbach. Bundesliga und internationalen Fußball schaue ich zusammen mit meinem Sohn Lucas überwiegend in unserem kleinen Heimkino.

Gibt es Spiele oder Szenen, die dir immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Wenn man Jahrzehnte Fußball gespielt hat, dann kann man gar nicht alles vergessen. Eine selbst erlebte Szene habe ich so danach nie wieder irgendwo gesehen. 1993 Bundesligaspiel mit Duisburg in Dresden: 83. Minute Elfmeter für Dresden beim Stand von 0:0. Mauksch schießt, ich halte den Ball fest und werfe ihn sofort wieder nach vorne, im Gegenzug Foul an einem MSV-Spieler und wieder Elfmeter. Peter Közle verwandelt in der 84. Minute – und wir gewinnen 1:0. Wahnsinnige 60 Sekunden!

Gab es Stadien in denen du besonders gerne, bzw. eher weniger gerne gespielt hast?
Ich habe alle Stadien geliebt, in denen ich spielen durfte. 

Stehst du noch mit ehemaligen Mannschaftskameraden in Kontakt oder haben sich gar Freundschaften entwickelt, die du heute noch pflegst?
Ja, klar. Ich könnte jetzt eine ganze Latte aufzählen. Nur als Beispiele Marco Bode, der mein Zimmerpartner bei Werder war. Mit Wynton Rufer war ich Teilnehmer an etlichen Bibelkreisen der christlichen Organisation Sportler ruft Sportler (SRS), Michael Preetz war Vizepräsident der VdV – diese gemeinsame Zeit, vor allem außerhalb des Platzes, haben nachhaltige Verbindungen entstehen lassen.  
 
Bei Werder Bremen galtst du als zuverlässiger Ersatz für Oliver Reck, hattest aber nur wenige Einsätze in der Bundesliga. Wie motiviert man sich als Torhüter, wenn man eigentlich keine echte Chance bekommt?
Man muss die Historie kennen. Ich wurde 1988 vom frischen Deutschen Meister Werder Bremen vom FSV Frankfurt aus der 3. Liga als Nachfolger von Dieter Burdenski als Nr.2 geholt. Oliver Reck, nur zwei Jahre älter als ich, war die unumstrittene Nr.1 und Olympia-Nationalspieler mit weitergehender Perspektive. „Lernen Sie hier, dann finden wir irgendwann einen guten Verein für Sie,“ sagte mir Otto Rehhagel. Es war also von Anfang an klar, dass ich die Nr.2 bin – das ist auf der Torwartposition Normalität. Wie geschrieben, aus der 3. Liga kommend, war das für mich der Eintritt in eine ganz neue Fußball-Welt, mit der ich gar nicht mehr gerechnet hatte, und die in dieser anfänglichen Konstellation akzeptabel war. 

Aufgrund einer Verletzung von Oliver Reck standst du plötzlich im Europapokal der Pokalsieger-Endspiel 1992 im Tor. Erzähl uns bitte von deiner damaligen Gefühlswelt.
Das war natürlich ein Wechselbad. Im bis dahin wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte muss der international eher unerfahrene Torhüter rein. Das war über Wochen vor diesem Endspiel auch medial das Thema. Als der x-te Journalist Otto Rehhagel darauf angesprochen hat, hat er den Satz gesagt, der vor drei Jahren zum 25-jährigen Sieg-Jubiläum in Bremen einen „Sprüche-Wettbewerb“ gewonnen hat und in der Ostkurve des Weser-Stadions verewigt wurde: „Wenn ich alle Torhüter dieser Welt zusammen hole und ihnen sage: Wer sich für den Besten hält, bitte zwei Meter vortreten, steht Rollmann schon da!“ Damit wollte er öffentlich alle Zweifel über das vermeintliche Problem zerstreuen. Mir ist es dann gelungen, im Endspiel nichts falsch zu machen, und wir haben 2:0 gewonnen. 

Wie und wo feierte das Team den Europapokalerfolg?
Der wird ja heute noch gefeiert, wie erwähnt zuletzt 2017. Im Hotel war nach dem Spiel die Hölle los. Einen Tag später Rundfahrt im offenen Wagen durch die Bremer City. Empfang im Rathaus etc. Es war schon was sehr Besonderes, sehr Herzliches.

Du bist 1992 zum MSV Duisburg in die 2. Bundesliga gewechselt und warst dort auf Anhieb Stammtorhüter und Aufstiegsheld 1993. Ist dir der Schritt vom Europapokalsieger Werder Bremen zu den Zebras in die 2. Bundesliga schwergefallen?
Auch hier ist die Historie wichtig: 1992 hatte ich Anfang des Jahres meinen Vertrag bei Werder selbst gekündigt und wollte eigentlich als Profi ganz aufhören, um mich intensiver meinen anderen Interessen (Journalismus, Politik, Studium) widmen zu können. Dann kam ich wegen der Verletzung von Reck doch noch zu Einsätzen in der Bundesliga, DFB-Pokal und im Europapokal – und plötzlich kamen Angebote, die mein Ehrgefühl berührt haben. Mensch, soll ich wirklich als Nr. 2 aufhören - oder doch noch mal als Nr.1 zeigen, was eigentlich wirklich geht? Das gab den Ausschlag für den MSV, bei dem mich Trainer Uwe Reinders unbedingt wollte, übrigens schon ein Jahr zuvor, als er noch Hansa Rostock trainierte - aber Werder erteilte mir keine Freigabe für den Rostock-Wechsel, den ich gerne gemacht hätte. 

Auch nach dem Aufstieg warst du beim MSV als Nummer 1 gesetzt und ihr konntet souverän den Klassenerhalt in der Bundesliga sichern. Wie wichtig war für dich das Vertrauen der Trainer in den ersten beiden Jahren in Duisburg als Nummer 1?
Vertrauen ist immer wichtig und muss mit Leistung zurückgezahlt werden. Die habe ich gebracht. 
 
Während deiner zweiten Saison in der ersten Bundesliga mit Duisburg startete der MSV schlecht und nach zwei Punkten aus den ersten vier Spieltagen nahm dich Ewald Lienen zur Halbzeit beim Stand von 0:3 gegen die Bayern vom Feld. Fühlt man sich da nicht als Sündenbock?
Ach Herrje, diese skurrile Geschichte. Um das detailliert zu betrachten, fehlt der Platz. Die Trainer haben sich schlicht verguckt und überreagiert. Den Kapitän und Torwart wechselt man nicht aus, wenn der nicht selbst will. Punkt. Ich dachte in der Kabine erst an einen Scherz mit der „Versteckten Kamera“. Keines der Gegentore war faktisch ein Torwartfehler, wie man später im Fernsehen gesehen hat. Hätten die Trainer damals, wie heute üblich, moderne Technik an der Bank zur Verfügung gehabt, hätten sie es sicher so nicht gemacht. So kam es zur vorzeitigen Vertragsauflösung. Von der MSV-Abfindung habe ich mir 1995 das Haus gekauft, in dem ich seit 2014 mit meiner Familie wohne. Duisburg ist am Ende der Saison abgestiegen. 

Dieses Spiel war auch gleichzeitig mit erst 27 Jahren dein letztes Spiel in einer der beiden Bundesligen. Hat der Trainer Ewald Lienen deine Profikarriere beendet, bzw. hast du ihn dafür verantwortlich gemacht?
Aber nein. Ich hatte zig Angebote nach dem Ausscheiden beim MSV und hätte sofort bei Dynamo Dresden unterschreiben können. 1995 wollte mich Uli Stielike zu Waldhof Mannheim holen. Da hatte ich mich aber schon entschieden, ein Studium in München anzutreten. Dieser Studiengang war mir nach einem Auswahlverfahren zugeteilt worden und mit Alterslimit 28 versehen. Zweimal hatte ich zuvor Studiengänge dem Fußball geopfert. Sportwissenschaft für den Werder-Vertrag, Literaturwissenschaft für den MSV-Vertrag. Ich war im 28. Lebensjahr und wollte mir diese Chance in München an der Ludwig-Maximilians-Universität in Verbindung mit der Deutschen Journalistenschule (DJS) nicht entgehen lassen. Nach dem Umzug mit Familie nach München habe ich ja noch in Augsburg 3. Liga gespielt.  

Glaubst du, dass du in deiner Karriere alles richtig gemacht hast oder gab es Dinge, die du heute anders machen würdest?
Alles richtig macht kein Mensch. Aber grundsätzlich würde ich alles wieder so machen, wenn ich mir die Zeitpunkte vergegenwärtige, in denen Entscheidungen getroffen werden mussten. Man muss berücksichtigen, dass wir damals zwar gut verdient haben, aber im Vergleich zu den heutigen Summen waren das ja Peanuts. Ob ich heute, sagen wir mal bei einem Angebot über zwei Millionen Euro Jahresgehalt, die Uni vorziehen würde, wie 1995 geschehen, wage ich zu bezweifeln. Das stand damals aber nicht zur Debatte und ich hatte, nach meinem Gefühl als grundsätzlich bescheidener Mensch ohne Luxus-Gen, bereits genug verdient – und vor allem gespart. 

Verfolgst du den Weg deiner ehemaligen Vereine noch intensiv?
Selbstverständlich. Das geht wahrscheinlich jedem Spieler so. Ich leide mit Kickers Offenbach, denen ich die Rückkehr wenigstens in die 3. Liga von Herzen wünsche. Und ich leide derzeit mit Werder Bremen, wo noch viele ehemalige Mannschaftskameraden aktiv sind (Bode, Ordenewitz, Votava, Wolter, Schaaf). 

Welcher deiner Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen?
Alle haben Eindruck hinterlassen. Holger Osieck und Berti Vogts in den Jugend-Nationalmannschaften, Hermann Nuber in der A-Jugend bei Kickers Offenbach oder Otto Rehhagel bei Werder, der mich aus der Amateurliga in die „neue Fußballwelt“ geholt hat. Und ich habe von einigen Trainern gelernt, wie man es nicht macht. Die Namen verkneife ich mir.

Hattest du ein Vorbild als Spieler?
Sepp Maier war mein absolutes Jugendidol. Auch die Eleganz und die Außenrist-Schusstechnik von Franz Beckenbauer haben mich schwer beeindruckt. Diese Schusstechnik habe ich als Bub besessen trainiert, immer mit der Gefahr, einen Bänderriss zu erleiden. Ein besonderes Faible hatte ich immer für Mittelstürmer wie Klaus Fischer, Horst Hrubesch, Gerd Müller, Dieter Müller, Dieter Hoeneß, Erwin Kostedde, Rudi Völler, etc. 

Ich würde dir gerne ein paar Namen nennen und dich darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu den Personen zu sagen.
Otto Rehhagel: Beeindruckende Persönlichkeit, der ganze Spielergenerationen geprägt und viele davon motiviert hat, selbst Trainer zu werden (u.a. Meier, Neubarth, Votava, Eilts, Wolter, Schaaf, Reck, etc.). Ich bin ihm im Rückblick dankbar, dass vor allem er mir den Kindheitstraum, Fußball-Profi zu werden, erfüllt hat. 

Manni Burgsmüller: Genialer Fußballer und herzlicher Typ. Ich habe ihn geliebt.

Oliver Reck: Ausnahmetorwart, der vor allem in der Strafraumbeherrschung vielen Torhütern, die in der öffentlichen Wahrnehmung positiver wahrgenommen wurden, um Längen voraus war. Ich habe viel von ihm gelernt.  

Wynton Rufer: Unglaublicher Fußballer. Christlich motiviert engagiert. Immer eine Freude, ihn zu treffen, wie neulich spontan in Dortmund.     

Uli Borowka: Dürfte sich ein Trainer einen Abwehrspieler am Reißbrett entwerfen, dann wäre der ziemlich genau so wie Borowka. Ich ziehe den Hut vor seiner Leistung, nach Ende der Fußball-Laufbahn seine Sucht in den Griff bekommen zu haben. 

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