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Interview mit Klaus Theiss

"Max Merkel hat furchtbar geblutet."

Klaus Theiss spielte in der Bundesliga für den KSC, Eintracht Frankfurt und den FC Homburg. Er hat uns unter anderem vom Aufeinandertreffen mit seinem großen Vorbild Franz Beckenbauer und von den legendären Trainern Max Merkel und Dietrich Weise erzählt. Und davon, wie er seinen Stammplatz verletzungsbedingt an Manni Binz verloren hat. Ein Mann, der seinen Traum als Fußballprofi viel zu kurz leben durfte, aber keineswegs traurig in die Vergangenheit blickt.

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von Nico Petrowsky


Klaus Theiss, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen: Was haben Sie im Anschluss an Ihre Karriere gemacht und was machen Sie heute beruflich?
Ich war Sportinvalide und habe dann umgeschult zum Reiseverkehrskaufmann. Heute habe ich seit über 20 Jahren ein Reisebüro.


Wie geht es Ihnen heute gesundheitlich? Sie hatten viele schwere Verletzungen, die verbunden waren mit etlichen Operationen.
Die Verletzungen haben mich dazu bewogen, einen Antrag auf Sportinvalidität zu stellen. Heute geht es mir gesundheitlich insofern aber ganz gut. Ich betreibe ja auch keinen Leistungssport mehr.


Nachdem Sie in der Jugendnationalmannschaft für Furore gesorgt haben und Europameister wurden, standen Vereine aus der Bundesliga Schlange. Warum entschieden Sie sich für den Karlsruher SC, der regelmäßig als Abstiegskandidat gehandelt wurde?
Ich habe mir da auf meiner Position die größten Chancen ausgerechnet. Der VfB Stuttgart war auch noch im Gespräch. Es war damals eigentlich auch die Regel, dass man als Jugendspieler zunächst einen Amateurvertrag bekommt und dadurch bei den Profis mittrainieren kann. Ich habe mich aber dazu entschlossen, zum KSC zu gehen. Im Nachhinein kam der VfB Stuttgart auch nochmal auf mich zu und bot mir einen Profivertrag an, aber da hatte ich dem KSC schon zugesagt. Das wurde dann auch von allen akzeptiert.


Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie mit Ihrem ersten Profigehalt umgegangen sind?
Ich hatte für damalige Verhältnisse ein gutes Gehalt. Ich war über die ganzen Jahre aber ziemlich bodenständig.


Nachdem sich der etatmäßige Libero Reinhold Fanz zu Beginn der Saison verletzte, schlug Ihre Stunde und Sie wurden ins kalte Bundesligawasser geworfen. Beschreiben sie doch Ihre Gefühlswelt, als Trainer Krafft Sie einwechselte.
Es war etwas ganz Besonderes. Ich war darüber so happy, dass ich nach dem Spiel in meine alte Heimat gefahren bin und im Clubhaus meines damaligen Vereins TuS Ergenzingen mit den alten Kollegen zusammengesessen habe.


Sie waren gerade erst 18 Jahre alt geworden und waren plötzlich als neuer Libero nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken. Mussten Freunde und Familie auf Sie achten, dass Ihnen der schnelle Erfolg in so jungen Jahren nicht zu Kopf stieg?
Nein, eigentlich nicht. Als ich damals Jugendnationalmannschaft gespielt habe, wurde mir vom Verein vermittelt, dass man nie vergessen sollte, wo man herkommt. Und genauso war es auch bei mir in der Familie. Ich bin sehr behütet und bodenständig aufgewachsen und das habe ich mir auch im Profigeschäft beibehalten. Ich war weit weg vom Abheben.


In Ihrem zweiten Bundesligaspiel ging es gleich gegen den großen FC Bayern, der mit Stars wie Paul Breitner oder Kalle Rummenigge bespickt war. Wie groß war Ihr Respekt vor diesen Spielern und den Bayern?
Das nach so vielen Jahren zu beurteilen, ist schwierig. Ich kann mir vorstellen, dass man da sehr respektvoll ins Spiel gegangen ist. Das waren ja alles Idole, mit denen man dort auf dem Platz stand. Ein großes Idol von mir war schon immer Franz Beckenbauer. Und wenn ich nun Revue passieren lasse, dass quasi das allerletzte Bundesligaspiel von Franz Beckenbauer beim HSV ausgerechnet gegen uns war, ist das sehr besonders. Zumal ich ihn dann auch noch zur Meisterschaft beglückwünschen konnte. Das war schon ein Gänsehauterlebnis. Aber gegen Bayern München war es auch immer etwas ganz Besonderes. Wenn der FC Bayern irgendwo auftrat, war immer die Hütte voll.


Wie haben Sie Beckenbauer auf dem Platz erlebt?
Er wurde in dem betreffenden Spiel eingewechselt. Das war auch eher eine besondere Geste, denn der HSV war zu diesem Zeitpunkt eigentlich auch schon Deutscher Meister. Natürlich war sein Zenit da schon überschritten. Aber es war trotzdem noch ein Genuss ihn zu sehen, wenn er den Ball annahm und seinen Überblick ausspielte. Es war sehr bewundernswert und elegant, wie er Fußball gespielt hat.


Nach wenigen Monaten beim KSC wurde Max Merkel Ihr neuer Trainer, der große Erfolge gefeiert hatte, aber auch als schwierige Persönlichkeit galt. Wie ging er mit der Mannschaft und speziell mit Ihnen als ganz junger Spieler um?
Ich werde Folgendes nie vergessen: Es war ein nasskalter Novembertag und Max Merkel war zum ersten Mal als Trainer da. Auf dem Trainingsgelände haben sich ca. 5000 Zuschauer zusammengefunden, nur um Max Merkel zu begrüßen. Sonst hatten wir beim Training immer nur etwa 40 Zuschauer und plötzlich stand da diese Menschenmenge. Merkel wollte sich erstmal einen Überblick verschaffen und hat uns ein Trainingsspiel machen lassen. Ich wollte den Ball einmal wegschlagen und mein Befreiungsschlag landete direkt auf seiner Brille. Max Merkel hat furchtbar geblutet und wurde von den Sanitätern abgeführt. Ich dachte nur: Um Gottes Willen. In der Bildzeitung stand am nächsten Tag: „Theiss schießt Merkel ab“. Er hat aber sehr sportlich reagiert und meinte zu mir, dass er genau so etwas sehen will. Wenn Not am Mann ist, dann muss der Ball einfach weg. Ich hatte in der ganzen Zeit eigentlich ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Als ich verletzt war, hat er mich privat zu sich nach Hause eingeladen. Der Umgang war also wirklich sehr gut.


Sie hielten dem KSC auch die Treue, nachdem am Ende Ihrer zweiten Saison der Abstieg aus der Bundesliga stand. Gab es keine Angebote aus der Bundesliga?
Vielleicht gab es das eine oder andere, aber mir ist gerade nichts geläufig. Ich weiß, dass der KSC in der Situation viele Spieler gehalten hat und mit einer jungen Mannschaft wieder aufsteigen wollte. Das war für mich dann auch der Anlass, dass ich es in der 2. Liga nochmal probieren wollte.


Der KSC entwickelte sich zu einer echten Fahrstuhlmannschaft. Nach dem direkten Wiederaufstieg ging es nach einer Saison schon wieder runter in die 2. Bundesliga, woraufhin Sie den Verein in Richtung Frankfurt verließen. Wie entstand der Kontakt zur Eintracht?
Beim zweiten Abstieg hatte ich sogar einen besser dotierten Vertrag für die zweite Liga vorliegen, aber da habe ich dann die sportliche Perspektive mit Eintracht Frankfurt in der ersten Liga vorgezogen. Da bekam ich einen Anruf des damaligen Schatzmeisters Wolfgang Knispel. Es lief dann aber auch hauptsächlich über den Trainer Dietrich Weise, den ich auch schon in der Jugendnationalmannschaft hatte. Bei der Eintracht sollte damals eine junge Mannschaft mit Zukunftsperspektive aufgebaut werden.


Bei der Eintracht hatten Sie direkt Ihren Stammplatz und waren als Defensivspieler sogar interner Torschützenkönig. Als einer der wenigen Frankfurter Lichtblicke dieser Saison hatte man Sie sogar auf dem Zettel für die Weltmeisterschaft in Mexiko 1986. Waren Sie diesbezüglich mit Teamchef Beckenbauer in Kontakt?
Beckenbauer hatte mich schon in Karlsruhe beobachtet und später dann auch in Frankfurt. Ich war unter Berti Vogts als älterer Spieler auch bei der U21-Nationalmannschaft dabei. In der Kicker-Rangliste wurde ich unter den Top-3-Liberos der Bundesliga gelistet. Als alles gut lief hatte ich aber wieder einen Bänderriss und das hat mich erneut drei Monate zurückgeworfen und quasi außer Gefecht gesetzt.


In dieser verletzungsbedingten Pause hat Manfred Binz Sie als Libero verdrängt und in vielen Jahren für die Eintracht Legenden-Status erreicht. Wie gingen Sie im Konkurrenzkampf miteinander um?
Manfred Binz kam eigentlich erst von den Amateuren, weil ich verletzt war. Er hat in dieser Zeit dann auch nicht nur Libero gespielt, sondern auch hinten links und im Mittelfeld. Ich war eben nur Libero. Dann kam ein erneuter Bänderriss, gefolgt von Bandscheibenproblemen. Deswegen hat man in Frankfurt vermehrt mit Manfred Binz als Libero geplant und er hat auch gut eingeschlagen. Ich hatte zu ihm aber eigentlich immer einen ganz guten Draht.


Sie konnten sich mit der Eintracht nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen und standen kurz vor einem Wechsel zu Schalke 04, der sogar schon öffentlich gemacht wurde. Woran scheiterte dieser Wechsel dann letztendlich doch noch?
Per Handschlag wurde das eigentlich schon bestätigt. Am nächsten Tag hieß es, dass Schalke 04 den Wechsel nicht stemmen kann, weil die Stadt Gelsenkirchen ihr Veto eingelegt hat. Es war alles ziemlich schwammig. Wahrscheinlich hat auch der damalige Schalker Libero, Wilfried Hannes, dagegengehalten. Warum es jetzt aber genau nicht funktioniert hat, kann ich nicht beurteilen.


Auf Leihbasis wechselten Sie zum Hamburger SV, wo Sie jedoch nicht berücksichtigt wurden. Sie spielten danach noch für Aschaffenburg und TeBe Berlin in der zweiten Liga, mit dem FC Homburg sogar noch eine Saison in der Bundesliga. Haderten Sie nachträglich noch mit ihrem Verletzungspech, welches Sie wahrscheinlich die ganz große Karriere gekostet hat?
Ich muss sagen, dass ich mit meiner Karriere zufrieden bin. Rückblickend hatte ich eine schöne Zeit und ich war überall ein Leistungsträger. Am Verletzungspech kann man leider auch nichts ändern. Wenn die Medizin damals auf dem heutigen Stand gewesen wäre, hätte man für einen Bänderriss vermutlich auch keine sechs Wochen Gips und zwei Monate Reha gehabt. Dann hätte ich vielleicht acht Wochen später wieder gespielt. Aber so war es eben damals und ich bin deswegen auch nicht nachtragend.


Hatten Sie einen Plan B in Form einer abgeschlossenen Ausbildung, falls Ihre Verletzungen Sie noch früher zum Aufhören gezwungen hätten oder haben Sie alles auf die Karte Profifußballer gesetzt?
Ich war in meiner Bundesligazeit relativ gut abgesichert. Auch privat noch zusätzlich durch eine Sportinvaliditätsversicherung.


Gibt es Spiele oder Szenen, die Ihnen immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Ich denke, dass wir damals mit Eintracht Frankfurt abgestiegen wären, wenn ich nicht den Freistoß in der letzten Minute gegen den VfB Stuttgart zum Ausgleich geschossen hätte. Das ist eine schöne Erinnerung. Wenn wir den Punkt nicht geholt hätten, dann hätte es vielleicht nicht mehr gereicht.

In welchen Stadien in Deutschland waren Sie am liebsten zu Gast?
Das waren die klassischen Stadien ohne Laufbahn, sprich Dortmund und Bochum. Bochum war sogar noch besser, weil die Kurven geschlossen waren. In Dortmund war man zwar auch direkt am Feld, aber da war eben die Kurve noch offen. Aber klar, wenn das Waldstadion in Frankfurt ausverkauft war, war dort natürlich auch die Hölle los.



Sie haben mit großen Trainern wie Max Merkel oder Dietrich Weise gearbeitet. Welcher Ihrer Trainer hat am meisten Eindruck während Ihrer Karriere hinterlassen?
Das ist unterschiedlich. Dietrich Weise war ein absoluter Fußball-Fachmann. Max Merkel war von dem Geschehen und den Abläufen in der Bundesliga weiter weg. Aber auch Merkel brachte viele neue Ideen und Sichtweisen mit ein. Dietrich Weise war im Gegensatz zu Merkel eher ein Taktiker, der sehr akribisch gearbeitet hat.


Zum Abschluss würde ich Ihnen gerne einige Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu ihnen zu sagen:


Joachim Löw:
Ein guter Kamerad von mir beim KSC. Wir waren auch außerhalb vom Fußball immer zusammen unterwegs. Wir hatten mit drei bis vier anderen Leuten unsere Clique und er war ein richtiger Kumpeltyp.


Charly Körbel:
Das Eintracht-Vorbild schlechthin. Er hatte immer ein offenes Ohr für seine Mitspieler. Menschlich und fußballerisch ein absolutes Vorbild.


Andy Möller:
Er kam damals aus der Jugend, als ich bei der Eintracht war. Man hat sein Talent schon in seinem jungen Alter erkannt. Ich denke, dass bei Andy Möller, obwohl er einiges erreicht hat, sogar noch mehr drin gewesen wäre.


Manni Kaltz:
Er war in Hamburg eher der Stille und nie groß auffällig. Aber gemessen an dem, was er erreicht hat, war er natürlich ein Vorzeigeprofi.


Christian Streich:
Wir hatten jeden Montag in Homburg unseren Stammtisch zusammen und waren auch zusammen im Urlaub. Christian Streich ist ein ehrlicher und gradliniger Typ, der immer alles anspricht. Er war früher quasi genauso, wie man ihn heute bei Freiburg kennt. Einfach ein klasse Typ.

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