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Interview mit Heiko März

"Ewald Lienen hat bewusst meine Karriere beendet!"

Heiko März spielte über 20 Jahre für Hansa Rostock, wurde letzter ostdeutscher Meister und spielte im Europapokal der Landesmeister gegen den FC Barcelona. Er hat uns viele interessante Geschichten erzählt.

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von Alex Bauer

Heiko März, bevor wir uns mit Ihrer Profikarriere beschäftigen, würden wir gerne wissen, was Sie danach gemacht haben, bzw. was Sie heute machen.
Ich bin dem Fußball treugeblieben. Ich habe bis zu diesem Sommer 18 Jahre in der Vermarktung von Hansa Rostock gearbeitet. Erst über die Firma DSR (später Stroer und Infront), die das Marketing von Hansa übernommen hatte, dann über meine eigene Firma, der Sportwerbung März & Nachtigall. Zum Sommer 2023 hatte Hansa den Vertrag gekündigt. Das tat schon weh, aber ich habe meinen Frieden damit gemacht. Seit dieser Saison bin ich beim Greifswalder FC und leite das Marketing.


Sie haben Ihre Fußballerlaufbahn als Torwart begonnen. Ein Handbruch hat dafür gesorgt, dass Sie im Feld landeten. War es im Nachhinein Glück im Unglück?

Im Nachhinein ja, aber ich weiß nicht, wie gut ich als Torwart geworden wäre. Hansa Rostock wollte mich auch als Torwart verpflichten. Nach meinem Handbruch haben sie mich ein halbes Jahr später als Feldspieler genommen.


Sie haben bei der Betriebssportgemeinschaft des Fischkombinates Rostock als Fußballer angefangen. In der DDR wurden die Vereine und der Fußballsport anders organisiert – u. a. in Betriebssportgemeinschaften und mit Trägern. Wie sind Sie bei der BSG Fischkombinat Rostock gelandet?

Meine Eltern sind nach Rostock-Evershagen gezogen, einem Neubauviertel mit Plattenbauten. Dort haben die Nachbarskinder, mit denen ich auf der Straße Fußball gespielt habe, gefragt, ob ich mit zu „FiKo“ kommen möchte. Und da ich der Jüngste dort war, haben mich die Älteren ins Tor geschickt, weil sie selbst es nicht machen wollten. Ich stand aber gerne im Tor.


Dann wechselten Sie 1977 mit zwölf Jahren zu Hansa Rostock. Wie lief ein solcher Wechsel im Jugendfußball in der DDR ab?

Wir spielten in der Stadt mit „FiKo“ gegen Hansa. Und nach einem Spiel – noch als Torwart – kam der Trainer von Hansa auf mich zu und wollte mich verpflichten. Und wenn der FC Hansa als größter Verein der Stadt einen fragt, dann konnte man in der DDR nicht nein sagen. Es waren ja auch keine Transfers in der DDR, sondern man wurde delegiert.


Die DDR setzte im Sport eher auf die Sportarten, in denen es bei Olympischen Spielen viele Medaillen zu holen gab. Wie sah die Jugendfußballförderung in der DDR aus? Wie sah es im Vergleich zum bundesdeutschen Fußball aus? Gibt es etwas, was man für die heutige Jugendfußballarbeit übernehmen könnte?

In der DDR wurde der Fußball auch gefördert. Ich bin auch früh in eine Kinder- und Jugendsportschule gekommen. Da gab es morgens Training, dann Schule und danach wieder Training. Im Nachhinein war es schon viel, als 12-Jähriger mit den ganzen Schul- und Trainingsklamotten jeden Tag 50 Minuten zur Schule und zum Stadion zu pendeln. Was früher die Kinder- und Jugendsportschule war, ist heute das Nachwuchsleistungszentrum. Was den Nachwuchs betrifft, war der DDR-Fußball auch erfolgreich. Zum Beispiel wurde die U18-Mannschaft mit Matthias Sammer 1986 Europameister. Nur konnte man die Erfolge nicht in den Erwachsenenbereich übertragen, weil – meiner Meinung nach – zu viel trainiert wurde.


Sie haben dann fast ihre gesamte Karriere bei Hansa Rostock gespielt. War das so von Ihnen gewollt?

Zu DDR-Zeiten gab es kaum Möglichkeiten zu wechseln. Ich hatte mal ein Angebot aus Jena. Es war mir zu weit. Ich bin ein Küstenkind. Nach unserer Double-Saison 1990/91 wollte mich Dynamo Dresden haben, aber die von Hansa Rostock geforderte Ablöse von 500.000 DM war zu viel. Und ein paar Jahre später haben mich Vermittler gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, nach Schalke oder zu Werder Bremen zu wechseln. Aber ich habe nein gesagt. Vielleicht hätte ich das machen sollen, allerdings war ich dafür zu sehr heimatverbunden.


Obwohl Sie ein Leistungsträger bei Hansa Rostock waren, haben Sie nur ein Länderspiel für die DDR-Nationalmannschaft absolviert – und zwar 16 Minuten im WM-Qualifikationsspiel in der Sowjetunion (0:3). Lag das daran, dass Hansa Rostock in den Achtziger Jahren in der DDR als Fahrstuhlmannschaft galt?

Ja. Und das eine Länderspiel kam eher zufällig zustande. Ich habe für die U21 gespielt. Dann hat sich jemand in der A-Nationalmannschaft verletzt, und die haben gesagt, die brauchen jemanden für die Bank. Mir wurde auch gesagt, ich werde auch nicht spielen. Dementsprechend unbekümmert bin ich auch dahin gefahren. Dann verletzte sich auch Ronald Kreer, und ich wurde eingewechselt. Aber da lagen wir schon 0:3 zurück. An mir lag es also nicht, dass wir verloren haben.


Hansa hat in der DDR die ersten fünf Pokalendspiele allesamt verloren. Beim Pokalfinale 1987 gegen Lokomotive Leipzig (1:4) standen Sie nicht nur selbst auf dem Platz, sondern haben sogar das 1:0 erzielt. Was waren die Gründe für die Niederlage?

Wir haben in den ersten 20 Minuten Lok Leipzig überraschen können. Nach dem Führungstreffer haben wir im direkten Gegenzug den Ausgleich kassiert. Wir haben uns damals als Zweitligist achtbar aus der Affäre gezogen, aber Lok Leipzig war eine abgezockte Mannschaft. Die haben im selben Jahr auch im Europapokal das Finale erreicht.


Hansa hat das Pokalfinale 1987 als Zweitligist erreicht. Noch in der selben Saison gelang Ihnen der Wiederaufstieg. 1988 Klassenerhalt mit Platz Neun in der DDR-Oberliga, 1989 als Tabellenvierter die Qualifikation für den UEFA-Cup. Was waren die Gründe für den plötzlichen Aufschwung?

Wir hatten eine junge und talentierte Mannschaft, und wir bekamen mit Werner Voigt von der zweiten Mannschaft des BFC Dynamo einen neuen Trainer, der uns fit machte wie ein Turnschuh. Und wenn man gut in eine Saison startet, dann bestreitet man auch anders die restliche Spielzeit.


Im Juli 1989 floh Axel Kruse während eines Spiels in Kopenhagen nach West-Deutschland. Wie haben Sie als Teamkamerad das erlebt?

Das war ausgerechnet an meinem Geburtstag. Wir hatten vor dem Intertoto-Cup-Spiel in Kopenhagen eine Mannschaftssitzung. Wer nicht kam, war Axel. Eigentlich sollten wir nach dem Spiel noch zwei Tage in Dänemark bleiben. Aber das wurde abgesagt, und wir mussten nach dem Spiel direkt wieder nach Hause fahren. Ein halbes Jahr später – nach dem Mauerfall – haben Axel und ich uns getroffen und über alles gesprochen. Wir waren damals gut befreundet.


Vor der letzten Saison der DDR-Oberliga wurde Werner Voigt trotz seiner guten Arbeit durch Uwe Reinders als Hansa-Trainer ersetzt. Wieso?
Das war eine Entscheidung des Vorstandes. Die waren von Werner Voigt nicht überzeugt und trauten ihm nicht zu, die Qualifikation für die erste oder zweite Bundesliga zu schaffen.


Ausgerechnet in der letzten Saison der DDR-Oberliga, die dann NOFV-Oberliga hieß, holte Hansa zum ersten Mal sowohl den Meister- als auch den Pokaltitel. Wieso hatte man die „Wende“ besser verkraftet als andere Ostvereine?

Wir haben uns erst kürzlich als Double-Mannschaft wieder getroffen und darüber gesprochen. Wir hatten eine gute Mannschaft und mit Uwe Reinders einen guten Motivator, der uns eingeimpft hatte, in den bezahlbaren Fußball zu wollen. Er sagte immer: „Wollt ihr arbeitslos werden oder nicht?“ Außerdem mussten die großen Mannschaften wie Dynamo Dresden oder BFC Dynamo ihre Leistungsträger in den Westen abgeben. Wir sind dagegen zusammengeblieben, weil uns keiner wollte. Die Vereine im Westen machten sich nicht die Mühe, zu uns nach Rostock zu fahren, um uns zu beobachten.


Uwe Reinders hatte ein selbstbewusstes Auftreten. Wie kamen Sie persönlich, aber auch die hanseatische Mannschaft mit Reinders zurecht?

Wir waren erfolgreich – das ist das Entscheidende. Er konnte gut motivieren. In der DDR haben wir von 8 bis 18 Uhr trainiert. Und dann kam Reinders und wir trainierten nur noch 1–2 Stunden am Tag. Wir haben uns erst gewundert, aber dann gemerkt, dass wir in der kürzeren Zeit intensiver und konzentrierter trainierten als zuvor.


Kapitän Juri Schlünz hat die Anekdote erzählt, dass Reinders zu der Mannschaft nach einem Training gesagt habe, dass sie zur Massage gehen könne. Dann haben einige aus der Mannschaft gesagt, dass sie noch die Kinder aus dem Kindergarten abholen müssen. Das war Reinders noch nicht gewohnt – und er meinte daraufhin: „Sagt euren Frauen: Ab jetzt verdient ihr die Kohle. Und wenn was ist, dann ruft mich an.“ Dann gingen wieder die Hände hoch – „Trainer, wir haben kein Telefon.“

Ja. Das stimmt. Und er wollte das auch schnell geändert haben, aber die Spielerfrauen widersetzten sich ihm und wollten weiterhin arbeiten gehen. Reinders hat bei uns aber auch die Ernährung umgestellt. Bevor er kam, war es so, dass es drei Stunden vor dem Spiel noch im Mannschaftshotel ein Drei-Gänge-Menü gab – mit Soljanka, Steak au four und Schwedeneisbecher. Unter Reinders wurde das durch Nudeln und Putensteaks ersetzt. Und wir fuhren auch regelmäßig ins Trainingslager, was es so vorher nicht gab.


Auch nach der Wiedervereinigung ritt man weiter auf der Erfolgswelle. Drei Siege zum Auftakt, unter anderem bei Bayern München und ein 5:1-Kantersieg gegen Borussia Dortmund, das bedeutete die Tabellenführung. Im Europapokal der Landesmeister besiegte man den FC Barcelona mit 1:0 nach einer 0:3-Hinspielniederlage im Camp Nou. Bei der 0:3-Niederlage standen Sie selbst auf dem Platz. War das vielleicht Ihr größtes Erlebnis als Profifußballer?

Was mir noch in Erinnerung geblieben ist, als wir den Platz zum ersten Mal betraten, waren gerade einmal 20.000 Zuschauer im Camp Nou. Und wir haben uns schon lustig gemacht, hier sollen 100.000 Zuschauer kommen. Was wir nicht wussten war, dass der Camp Nou 50 Eingänge hat und die Zuschauer innerhalb weniger Minuten ins Stadion gelangen. Als wir dann zum Spiel aus der Kabine kamen, waren wir schon von der Kulisse beeindruckt. Ob es 60.000, 80.000 oder 100.000 Zuschauer waren, konnte man im Rund nicht erkennen. Schöner fand ich es im Pokalfinale 1987 – da waren es nur 49.000 Zuschauer, aber davon 25.000 Rostocker. Übrigens: Was ich in Barcelona zum ersten Mal erlebt habe, war, dass der Rasen vor dem Spiel bewässert wurde. Auf dem nassen Rasen hat Barca uns ganz schön vorgeführt.


Noch am siebten Spieltag war Hansa Tabellenführer – am Ende stiegen Sie trotzdem ab.   Wieso? War der Streit zwischen Reinders und Präsident Gerd Kische der Hauptgrund?

Das war der eine Hauptgrund, der andere waren die drei West-Neuzugänge František Straka, Michael Spies und Olaf Bodden. Die widerlegten die Aussagen von Reinders, mit denen er uns ein Jahr lang motiviert hatte. So kam ein Riss in die Mannschaft. Reinders schärfte uns immer ein, dass wenn wir es in Rostock nicht schaffen, dann in die Arbeitslosigkeit landen würden. Dann sagten uns die Neuzugänge: „Wir haben es nicht in Gladbach geschafft, deswegen sind wir bei Hansa gelandet. Und wenn ihr es nicht in Rostock schafft, dann kommt ihr auch woanders unter.“ Straka und Spies haben dem Trainer auch intern widersprochen, was wir so nicht kannten, und er ließ den drei Neuzugängen auch vieles durchgehen.


Mit Trainer Frank Pagelsdorf stiegen Sie drei Jahre später wieder in die erste Liga auf, zeigten tollen Fußball und wurden am Ende Sechster. Wieso gelang unter Pagelsdorf Hansa der Klassenerhalt?

Bevor Pagelsdorf kam, hatten wir in zwei Spielzeiten zweite Liga drei verschiedene Trainer. Er krempelte die Mannschaft dann komplett um, brachte Spieler von seinem vorherigen Verein Union Berlin mit und verpflichtete „Paule“ Beinlich sowie Matthias Breitkreutz von Aston Villa. Pagelsdorf war mein erster Trainer, der uns Fußball von der Pike auf lehrte. Ich kann mich erinnern, dass wir einmal eine Stunde lang auf dem Platz nur spazieren waren, um das Verschieben zu lernen.


Am Ende verspielten sie in dieser Saison 1995/96 durch zwei Niederlagen in den letzten beiden Spielen gegen die Abstiegskandidaten Kaiserslautern und Köln die UEFA-Pokal-Teilnahme. Wie sehr ärgerten Sie sich darüber?

Nicht so sehr. Das war eine lange Saison. Für Kaiserslautern und Köln ging es um das nackte Überleben. Die haben auf alles getreten, wir wollten es spielerisch lösen, was am Ende in die Hose ging.


Frank Pagelsdorf wechselte 1997 zum HSV. Unter seinem Nachfolger Ewald Lienen machten Sie nur noch sieben Spiele, dann wurden Sie aussortiert. Was waren die Gründe für Ihre Ausbootung?

Ewald Lienen hat bewusst meine Karriere beendet. Im Nachhinein hat mir ein Mitspieler erzählt, dass Ewald Lienen gesagt habe: 1991 hätte ich seine Karriere beendet, jetzt beendet er meine. Die Vorgeschichte war, dass wir 1991 mit Rostock gegen Duisburg in der Bundesliga spielten und ich ihn damals an der Mittellinie umgrätschte. Dadurch zog er sich eine schwere Verletzung zu, weswegen er seine Karriere im Sommer 1992 beenden musste.


Danach landeten sie über Babelsberg und Schönberg beim SV Warnemünde, wo sie als Spielertrainer in zwei Spielen 2010 ihren ehemaligen Rostocker Teamkameraden Stefan Beinlich coachten. Wie kam das Engagement von Paule Beinlich zustande?

Ich habe mit Paule zusammen bei den Alten Herren von Hansa Rostock trainiert und gespielt – wir sind auch dreimal Deutscher Meister bei den Ü40 geworden. Und dann habe ich ihn gefragt, ob er unserer sehr jungen Mannschaft in Warnemünde mit seiner Erfahrung weiterhelfen könne. Das hat er dann gemacht.



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