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Interview mit Thomas Wolter

"Rehhagel hat während dem Spiel schon mal den ein oder anderen Vertrag zerrissen."
Thomas Wolter spielte 14 Jahre für den SV Werder und hat die großen Bremer Jahre mitgeprägt. Zwei deutsche Meisterschaften und DFB-Pokalsiege hat er erreicht, sowie den Europapokal gewonnen.

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von Nico Petrowsky

Thomas Wolter, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere gemacht haben und was Sie heute beruflich machen?
Ich habe 1998 aufgehört und stand dann vor der Frage, was ich mache. Ich hatte vorher Versicherungskaufmann bei der Allianz gelernt und habe das neben dem Fußball auch weiterbetrieben, um noch ein zweites Standbein zu haben. Als es auf mein Karriereende zu ging habe ich dann gemerkt, dass ich etwas Neues machen möchte. Ich war 14 Jahre Fußballer, in dem „Fußballergeschäft“ drin und wollte dann am liebsten etwas in diesem Bereich machen. Der Verein kam damals auf mich zu und hat mir zwei Möglichkeiten aufgezeigt - als spielender Co-Trainer der U23, damals noch unter Thomas Schaaf, zu agieren oder nebenbei ein wenig ins Marketing reinzuschnuppern und mit dem Marketing-Leiter Oliver Rau und Manager Willi Lemke unterwegs zu sein. Ich wollte mir in dieser Phase dann überlegen, in welche Richtung es gehen soll, also entweder Fußball oder Marketing. Ich habe dann schnell gemerkt, nachdem ich das ein halbes Jahr gemacht hatte, dass ich eigentlich auf dem Rasen bleiben möchte. Zwei Jahre lang bin ich dann Co-Trainer der U23 gewesen. Von 2000-2002 war ich Cheftrainer der U19 und habe in dieser Zeit auch meinen Fußball-Lehrer in Köln gemacht. 2003 übernahm ich dann die U23 und wurde gleichzeitig Nachwuchs-Cheftrainer. Das habe ich in dieser Doppelfunktion dann bis 2013 gemacht und bin seitdem „nur noch“ sportlicher Leiter im Nachwuchsleistungszentrum. Dort bin ich heute noch tätig und habe eine Menge Spaß.

Sie haben in Ihrer Profikarriere 14 Jahre ausschließlich für den SV Werder gespielt. Hätten Sie sich eine solche Laufbahn nicht eher beim HSV gewünscht? Schließlich sind Sie in Hamburg geboren und das Verhältnis zwischen den beiden Vereinen ist nicht unbedingt herzlich.
Ich war nie HSV-Fan, auch in meiner Jugend nicht. Ich habe damals in der U19 auch ein Angebot vom HSV abgelehnt, weil ich noch bei meinem Heimatverein HEBC bleiben wollte. Als ich 1984 bei Werder Bremen zugesagt habe, sagte ich tatsächlich auch meinem alten Idol, Günther Netzer, ab und habe mich für Werder Bremen entschieden. Das war damals eine Entscheidung nach dem Bauchgefühl. In Hamburg hätte ich natürlich in der Nähe meiner Eltern wohnen können, aber ich hatte das Gefühl, ich müsste etwas Neues machen. Werder Bremen war zu dieser Zeit ein sehr aufstrebender Verein und das hat einfach gepasst, auch von den Leuten her. Otto Rehhagel und seine Frau habe ich zum Beispiel am ersten Tag kennengelernt. Aber dass ich dort bis heute bleiben würde, konnte niemand erahnen. Ich wollte das damals mal probieren und wenn es nicht funktioniert hätte, wäre ich in meinen alten Beruf zurück. Dass ich mittlerweile schon länger in Bremen bin, als ich in Hamburg gelebt habe, hätte ich mir zu der Zeit nicht vorstellen können.

Hatten Sie nie den Wunsch eine neue Stadt, bzw. einen neuen Verein kennen zu lernen? Es gab doch sicherlich andere Angebote.
Ich habe es eigentlich nie zu Angeboten kommen lassen. Es gab sicherlich mal die ein oder andere Anfrage, aber es war früher auch anders. Zum einen hat man immer Geld gekostet. Die Regel, dass man ablösefrei wechseln konnte, kam ja erst 1995 und ich war das erste Mal ablösefrei mit 32. Zum anderen hatte ich mit Bremen auch einen super Verein, mit dem wir großartige Erfolge feiern konnten. Ich habe mich bis zum Nationalspieler hochentwickeln können und hatte wunderbare Jahre hier. Zudem habe ich auch neben dem Fußball eine Menge Freunde gefunden. Es hat sich dementsprechend nie die Frage für mich gestellt, dass ich etwas Neues machen müsste. Ich habe, als ich zu Bremen gegangen bin, etwas Neues gewagt, und habe das nie bereut. Ich hatte auch später als Trainer Anfragen, um höherklassig zu trainieren, aber das wollte ich nicht. Das, was ich in Bremen gemacht habe, war meine Erfüllung und das habe ich immer gerne gemacht und mache es auch immer noch gerne.

Sie kamen als 20-Jähriger zu Werder und hatten starke Konkurrenz auf Ihrer Position. In Ihrer ersten Saison 1984/85 spielten Sie insgesamt nur 33 Minuten. Wie verliert man als junger Spieler in so einer Situation nicht die Geduld?
Das ist schwer und sicherlich auch ein bisschen typbedingt. Wenn man vom Typ her nicht so unruhig ist, ist das als Grundvoraussetzung schon mal nicht schlecht. Ich persönlich bin auch nie so vermessen gewesen und habe gedacht, dass ich hierherkomme und direkt die Bundesliga rocke, sondern ich kam aus der Hamburger Landesliga, hatte bis dahin zwei Mal die Woche Training und plötzlich zwei Mal am Tag. Ich musste mich da erstmal eingewöhnen und hatte viel mit Verletzungen zu tun, weil ich mich erst an die Belastungen gewöhnen musste. Zudem hatte ich starke Konkurrenz auf den Seiten mit Thomas Schaaf oder Günter Herrmann. Deswegen konnte ich das für mich gut einordnen. Das war und ist heute noch ein großes Plus von mir, dass ich eine gute Selbsteinschätzung habe und auch weiß, was ich an Geduld brauche. Ich habe versucht mir das immer beizubehalten, auch wenn es nicht immer einfach war. Ich war auch mal gefrustet, wenn man z.B. nach dem ersten Training überhaupt nicht in den Kader kam, aber im Herbst 1985 bin ich dann schon ein paar Mal im Kader gelandet und habe auch meine ersten Kurzeinsätze gehabt. Im zweiten Jahr habe ich mich dann richtig freigeschwommen.

Sorgten Sie sich in dieser Phase schon um Ihre Profikarriere?
Überhaupt nicht. Ich war mit meinen 20 Jahren relativ unbekümmert in solchen Situationen. Wenn ich schon 30 gewesen wäre, hätte ich mir mehr Gedanken gemacht. Aber ich dachte damals einfach - „Lebe deinen Traum und versuche das Beste daraus zu machen“ - und dementsprechend habe ich auch nie aufgegeben.

In der folgenden Saison standen Sie in den meisten Spielen auf dem Platz und erzielten Ihren ersten Bundesliga-Treffer ausgerechnet im Nord-Derby gegen den HSV. Wie fühlte sich das an?
Ja, das war einfach irre! Auch wenn das mittlerweile schon 34 Jahre her ist, ist das immer noch unfassbar. Es war ein wunderschöner Sommertag und wir führten 1:0 durch Frank Neubarth, auch ein ehemaliger Hamburger, und das Spiel stand auf Messers Schneide. Der Trainer hat mich dann 20 Minuten vor Schluss reingebracht und mit meiner ersten Aktion bekomme ich einen langen Ball von Bruno Pezzey, bin allein aufs Tor zugestürmt und habe den Ball reingemacht. Danach war Freude pur, da kann ich mich noch gut dran erinnern. Damals waren noch ein paar Kumpels aus Hamburg da, die bei mir übernachtet haben und mit denen war ich abends noch ordentlich feiern. Das Problem war, dass ich nur 15 Minuten gespielt habe und deswegen am nächsten Tag trainieren musste. Da wurde ich richtig lang gemacht im Training und es wurde gesagt: „Hättest du gestern das Tor besser mal nicht geschossen!“ Aber das war einfach Wahnsinn.


11 Jahre lang hieß Ihr Trainer Otto Rehhagel. Was hat ihn ausgezeichnet, bzw. warum konnte er so lange als Trainer für ein und denselben Verein arbeiten?
Es war damals noch eine andere Zeit. Zum einen hatte man als Trainer im Verein noch ein anderes Standing und zum andern hing das natürlich auch mit der Person zusammen. Er hat es wirklich geschafft, und das finde ich immer noch beeindruckend, jeden Spieler auf der einen Seite als Fußballer und auf der anderen Seite als Menschen zu behandeln. Er hat das sehr gut trennen können. Wenn er jemanden als Fußballer kritisiert hat, hat er immer betont, dass er jemanden nicht als Menschen kritisiert. Das würde ihm nicht zustehen. Aber als Fußballer müsse er jemanden kritisieren können. Er war auch sehr hart und klar, das muss man auch sagen. Er hatte eine klare Ansprache und man wusste genau, was los war. Aber man hatte immer das Gefühl, es steckt ein Mensch dahinter, der auch genau wusste, dass seine Spieler Menschen sind und mit privaten Problemen des Lebens zu tun hatten. Das hat er super hinbekommen. Darüber hinaus hat er auch sehr clever seine Frau bei der Kaderzusammenstellung mit einbezogen. Frauen haben ja bekanntlich ein gutes Näschen für Menschen und er hat seinen Kader deswegen nicht nur nach den richtig guten Fußballern aufgestellt, sondern auch so, dass es in der Mannschaft harmoniert hat. Das war eine Gabe, die er hatte. Daraus ist auch eine Freundschaft entstanden, die bis heute anhält. Ich habe das auch für mich beruflich als Trainer mitgenommen, dass man eben weiterhin mit Menschen zu tun hat.

Rehhagel galt als nicht ganz einfacher Charakter und es war oft die Rede von der „Ottokratie“. Wie gingen Sie mit Meinungsverschiedenheiten mit ihm um? Klappe halten oder offensiv ins Wortgefecht?
Man konnte auch wunderbar mit ihm streiten. Zum Beispiel, wenn ich an manche Führungsspieler, wie Rudi Völler, denke. Der hat sich schon öfter mal mit ihm angelegt, weil er auch sehr klar in seinen Meinungen war. Das war für ihn danach aber auch wieder vorbei. Solche Dinge sind einfach immer in der Kabine geblieben und heutzutage ist das teilweise nicht mehr möglich. Das war damals ein großes Plus, das wir hatten. Das hat Otto Rehhagel immer wunderbar hinbekommen. Es gab teilweise schon eine hohe Streitkultur, die aber auch da sein musste, und er hat uns auch immer klipp und klar die Wahrheit gesagt. Er war ja auch sehr impulsiv und emotional und hat während dem Spiel schon den ein oder anderen Vertrag zerrissen. Montags hat er dann seinen Co-Trainer Kalli Kamp gefragt, „welche Verträge habe ich am Samstag zerrissen?“ – „Von Wolter, von Schaaf, von Herrmann“… „alle wieder einstellen!“. So war er eben, aber es hat unglaublich Spaß gemacht, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Im Jahr 1988 wurden Sie deutscher Meister, schon drei Spieltage vor Saisonende. Ihren letzten Einsatz hatten Sie damals schon am 28. Spieltag. Wie groß war die Enttäuschung, nicht mit von der Partie zu sein? Warum standen Sie in der finalen Phase der Saison nicht mehr auf dem Feld?
Sowas tut immer weh. Ich habe in dieser Saison viel mit Verletzungen zu kämpfen gehabt, hatte mir glaube ich zwei Mal den Mittelfuß gebrochen und zudem auch noch einen Muskelfaserriss zugezogen. Aber wenn ich fit war, habe ich auch gespielt und war Stammkraft, deswegen konnte ich in dieser Saison auch meinen Teil dazu beitragen. Ich fühlte mich also auf jeden Fall dazugehörig und habe diese Enttäuschung beiseitegelegt und mich gefreut, dass wir es endlich geschafft haben, weil wir damals so ein wenig als die Vizemannschaft galten. Man hörte manchmal „Vize Werder“ oder „Otto II.“ und damals vor der Saison 1987/88 gab es beispielsweise auch einen Bericht über uns, wo wir auf dem Schulschiff der Deutschen als Matrosen posierten und Otto als Kapitän. Das sollte eigentlich eine super Geschichte werden, aber im Endeffekt wurden wir unter der Überschrift „Antreten zum Abtakeln“ niedergemacht. Wir hatten vor der Saison Völler und Pezzey abgegeben, also absolute Superstars, und sind dann trotzdem Deutscher Meister geworden. Da hat die Genugtuung am Ende dann überwogen.

Wissen Sie noch wo und wie der Titel gefeiert wurde?
Wir hatten an dem Tag in Frankfurt gespielt und in Wiesbaden gewohnt. Dort haben wir dann im Hotel die Nacht zum Tag gemacht und sind am nächsten Morgen nach Bremen zurückgeflogen, sind mit Cabrios durch die Innenstadt gefahren und überall gefeiert worden. Das war ein wunderschöner Tag. Und weil es nach langer Zeit der erste Titel für Werder war, waren die Menschen umso euphorischer.

Im Europapokal der Landesmeister 1988/89 sorgten Sie mit dem allesentscheidenden Treffer zum 1:0 für das Weiterkommen im legendären Celtic Park gegen Celtic Glasgow. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Ich habe das Tor letztens sogar auf YouTube gesehen und meinen Kindern gezeigt. Verrückt, dass man das dort noch findet. Aber das Tor selbst war eigentlich eher ein Zufallsprodukt, weil ich einfach nach vorne gelaufen bin und Frank Ordenewitz den Ball von links nach vorne geschlagen hat. Ich bin da zufällig reingelaufen, dann ewig allein aufs Tor zu und habe mit allerletzter Kraft abgeschlossen. Dadurch haben wir dann in Glasgow 1:0 gewonnen. Was ich nicht wusste war, dass in Großbritannien immer ein „Man of the Match“ gewählt wurde. Nach dem Spiel wurde ich plötzlich von Ordnern festgehalten und dachte, was ist denn jetzt los. Dann hat mir jemand den Pokal für den „Man of the Match“ in die Hand gedrückt. Man hat außerdem gesehen, was ein Auswärtstor wert sein kann, weil wir uns im Rückspiel sehr schwergetan haben und mit Ach und Krach 0:0 gespielt haben, aber somit trotzdem eine Runde weiterkamen.

Im Viertelfinale schieden Sie dann ganz knapp gegen die Weltauswahl vom AC Mailand aus. Weltstars wie van Basten, Ruud Gullit, Maldini oder Baresi standen Ihnen in diesem Spiel gegenüber. Waren Sie cool oder verspürten Sie eine besondere Nervosität?
Ganz knapp, aber wirklich nur vom Ergebnis her, das muss man anerkennen. Die haben uns wirklich dermaßen beherrscht und haben nur das Tor nicht getroffen. Weitergekommen sind sie dann durch einen unberechtigten Elfmeter. Aber die waren ganz klar besser als wir und es war generell die beste Mannschaft der Welt zu der Zeit. Maldini war zum Beispiel mein Gegenspieler und da habe ich oft nur die Hacken gesehen. Nervosität braucht man eigentlich vor jedem Spiel, wir haben das immer „Vorstadtfieber“ genannt. Aber das braucht jeder Fußballer, um Höchstleistung zu bringen. Wir haben damals zu Hause einen großen Kampf geliefert, Thomas Schaaf hat z.B. über 60 Minuten mit einem Jochbeinbruch gespielt, und haben das 0:0 gehalten. Aber auch da war Mailand schon besser. Und im Rückspiel in diesem Hexenkessel in San Siro vor 80.000 Zuschauern, das war schon ein besonderes Erlebnis.

Im UEFA-Cup 1990 schieden Sie erst im Halbfinale unglücklich gegen Florenz aus. Auf dem Weg ins Halbfinale schickten Sie den damals weltbesten Fußballer Maradona mit seinem SSC Neapel mit 5:1 nach Hause. Wie haben Sie Diego Maradona damals in den beiden Spielen erlebt?
Ja gar nicht, der war nämlich zugedeckt! Man muss schon sagen, dass das damals zwei unglaublich gute Spiele von uns waren. Wir hatten in Neapel schon 3:2 gewonnen und zu Hause dann 5:1, das konnte ja niemand ahnen. Maradona war schon noch richtig gut, aber in diesen beiden Spielen hat er überhaupt nicht stattgefunden. Er ist von unseren Leuten super zugedeckt worden. Wenn ich daran denke, was wir damals für ein Zentrum hatten mit Votava, Eilts, Borowka und Bratseth, die ihn abwechselnd immer wieder übernommen haben, das war schon Wahnsinn. Und das Rückspiel war dann ein einziger Rausch. Die haben wir richtig auseinandergenommen. Da war eine Stimmung im Stadion, einer dieser berühmten Abende im Bremer Weserstadion.

Sie verloren 1989 mit 1:4 gegen Dortmund und 1990 mit 2:3 gegen Kaiserslautern zwei DFB-Pokalendspiele in Folge, ehe Sie im darauffolgenden Jahr endlich durch den Finalsieg gegen Köln den Pott in den Händen hielten. Wie gingen Sie vor dem Finale mit der Situation um? Zweifel wegen der beiden verlorenen Finals in Folge oder mit einer selbstbewussten „Jetzt-erst-recht“-Einstellung?
Eine Mischung von beidem würde ich sagen. Natürlich kann man es nicht aus dem Ärmel schütteln, wenn man zwei Endspiele verloren hat und ich persönlich habe auch in beiden Endspielen ganz schlecht gespielt. Gegen Dortmund habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Innenverteidiger gespielt und Frank Mill hat mich wirklich frisch gespielt. Und im zweiten Jahr gegen Kaiserslautern bin ich nach einer halben Stunde ausgewechselt worden. So war es für mich nochmal mehr eine besondere Situation, auch weil ich schwer in die Saison gekommen bin und der Trainer auch immer noch ein wenig sauer war, wegen meinem schlechten Pokalendspiel. Deswegen musste ich mich Stück für Stück in die Saison reinarbeiten, dass ich Stammspieler geworden bin und dementsprechend mit Selbstbewusstsein in dieses Endspiel gehen konnte. Das haben wir auch gut angefangen und mit 1:0 bis in die zweite Halbzeit geführt und dann hat Maurice Banach das 1:1 gemacht. Ab dann war es ein Spiel mit offenem Visier, wo es hin und her ging und man kam wirklich ins Grübeln, was wäre, wenn man schon das dritte Endspiel hintereinander verlieren würde. Das wäre furchtbar gewesen. Aber wir haben es dann Gott sei Dank im Elfmeterschießen für uns entschieden und dann sind alle Dämme gebrochen, ähnlich wie bei der Meisterschaft 1988. Auch hier haben wir den Bann des Zweiten durchbrochen. Das war damals auch der Auftakt zu Jahren, die für uns unvergessen bleiben.

Ein Jahr nach dem Pokalsieg gewannen Sie den Europapokal der Pokalsieger, was bis heute der größte Erfolg in der Vereinsgeschichte von Werder Bremen ist. Haben Sie sich mit diesen ganzen Erfolgen nicht auch eine Karriere in der Nationalmannschaft erhofft? Am Ende hatten Sie nur ein Länderspiel bestritten.
Da habe ich ehrlich gesagt nie dran gedacht, auch als ich dann beim DFB war nicht. Ich dachte ich probiere es mal, aber es war nie meine Intention. Für mich war es wichtig bei meinem Verein, Werder Bremen, die Höchstleistung zu bringen. Und wenn das funktionieren würde, dann würde ich auch automatisch eingeladen werden, was auch 1992/93 so war. Durch unsere ganzen Erfolge bin ich auch ein bisschen in den Blickpunkt geraten und auf der rechten Seite hatte Stefan Reuter damals ein großes Tief, sodass dies eben eine Möglichkeit war, um da reinzuschnuppern. 1992/93 durfte ich dann in Brasilien mein erstes und einziges Länderspiel machen.

In der Champions League spielten Sie 1993 gegen RSC Anderlecht und lagen im Weserstadion nach einer halben Stunde bereits mit 0:3 hinten. In der Halbzeit wurden Sie eingewechselt. Haben sie noch an den Erfolg geglaubt? Werder drehte das Spiel in den letzten 24 Minuten zu einem 5:3.
Das war so ein saukalter Abend im Dezember, mit Schneeregen. Ich habe auf der Bank gesessen und mir war kalt, das kann sich keiner vorstellen Der Trainer hat schon geschaut, wen er einwechseln konnte. Man wollte sich am liebsten verstecken, dass er einen gar nicht sieht. Jedenfalls wurde dann zur Halbzeit gepfiffen und es hieß nur: „Thomas, fertigmachen!“. „OK, danke schön, dann mach ich mich mal fertig“. Es hat glaube ich bis zur 60 Minute gedauert, bis ich einigermaßen warm war und wir haben auch die ersten 15 Minuten der zweiten Halbzeit nichts auf die Reihe gekriegt, da war Anderlecht klar besser und hätte auch das 4:0 machen können. Die haben es jedenfalls verpasst den Sack zuzumachen und dann ist etwas passiert, was sicherlich einmalig im Fußball ist. Irgendwann in der 65. Minute haben wir das 1:3 gemacht haben und auf einmal waren wir wieder da und bei Anderlecht ging gar nichts mehr. Wir konnten machen was wir wollten, haben richtig aufgedreht und machten relativ schnell das 2:3 und 3:3 und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, wann wir das 4:3 und 5:3 machten. Unfassbar. Wenn ich daran denke, wie viele Menschen da zur Halbzeit auch abgehauen sind, weil sie dachten das Spiel wäre entschieden. Das war ein denkwürdiger Abend für uns. Wenn das Spiel noch länger gegangen wäre hätten wir wahrscheinlich auch 7:3 oder 8:3 gewonnen.

Mit zwei DFB-Pokalsiegen, zwei deutschen Meisterschaften und dem Europapokalerfolg hatten Sie eine Vita, mit der zum Ende Ihrer Karriere bestimmt noch in einer Exotenliga die große Kasse möglich gewesen wäre. In Japan beispielsweise ließen Zico, Laudrup, Lineker und Co. Ihre Karrieren ausklingen. War das für Sie keine Option?
Nein, ich habe mich hier im Verein immer wohl gefühlt. Ich hatte nach dem Umbruch, als Otto Rehhagel weg war, auch eine tragende Rolle, wo ich als älterer Spieler immer mal wieder gefragt war, um den anderen zu helfen. Werder Bremen ist einfach mein Verein geworden, deswegen habe ich nie darüber nachgedacht nochmal etwas Anderes zu unternehmen. Ich wollte hier bleiben und als ich mit 34 aufgehört habe, war dann auch wirklich Schluss, da machte das Knie nicht mehr mit und es wurde auch Zeit nach 14 Jahren. Wenn ich nochmal woanders hingegangen wäre, hätte ich mich eigentlich nur blamieren können. So hatte ich ein vernünftiges Ende bei Werder, hatte eine tolle Karriere und wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass ich das alles miterleben darf, hätte ich das nie geglaubt. Ich bin sehr zufrieden, wie es bis zum Schluss gelaufen ist.

Sie haben die goldenen Bremer Jahre mitgeprägt und das ein oder andere Wunder von der Weser miterlebt. Tut es Ihnen nicht weh zu sehen, wie weit die großen Erfolge inzwischen entfernt sind?
Da bin ich ganz entspannt. Ich weine dem Ganzen auch nicht großartig hinterher, es waren eben andere Zeiten. Wir waren damals in der Lage mit Bayern mitzuhalten und waren stärker als viele andere Mannschaften, aber die Zeiten haben sich geändert. Es sind mittlerweile andere Vereine wie Hoffenheim, Wolfsburg und Leipzig hochgekommen und die Geldverteilung hat sich geändert. Bayern München ist richtig groß geworden. Wir müssen uns dem stellen. Aber es wird eben auch nicht leichter und ich finde man muss auch da immer Realist bleiben. Ich glaube, dass wir, wenn alles gut läuft, auch wieder an den internationalen Plätzen schnuppen können. Wir können aber auch, wenn es ganz schlecht läuft, einen der hinteren Plätze belegen, wie dieses Jahr. Dieses Jahr lief wirklich alles von der ersten Sekunde an gegen uns, mit den ganzen Verletzungen und den guten Spielen, die wir nicht gewonnen haben. Es hat sich einfach verselbstständigt. Deswegen ist es umso schöner, dass wir es in diesen beiden Spielen gegen Heidenheim, die wirklich auch kein Highlight waren, geschafft haben. Aber wenn man eine Relegation spielt, dann darf man nicht erwarten, dass es super Spiele werden, da geht es wirklich ums nackte Überleben und das haben wir Gott sei Dank geschafft. 

Das Bremer Publikum ist bekannt für eine Treue, wie Sie wahrscheinlich weltweit nur sehr selten zu finden ist. Auch und vor allem in schlechten Zeiten zeigen die Fans einen tollen Rückhalt. Was glauben Sie woran das liegt, wo die Menschen im Norden doch eher als kühl gelten?
Es gibt eine ganz besondere Verbindung zwischen Werder und der Stadt, bzw. den Menschen hier, das habe ich auch von Anfang an gemerkt. Ich komme aus Hamburg und der HSV gehört zwar zu Hamburg, aber nicht jeder Hamburger ist gleich HSV-Fan. Es gibt dort beispielsweise auch noch den FC St. Pauli. Und hier in Bremen gibt es eben Werder. Das Stadion ist mitten in der Stadt, direkt an der Weser, die Leute sind alle innerhalb von 10 Minuten hier oder wohnen teilweise um das Stadion herum und dadurch ist eine Verbundenheit da, die ihresgleichen sucht. Deswegen kämpfen wir auch darum, wenn wir unser neues Nachwuchsleistungszentrum bauen sollten, dass wir es auf jeden Fall in der Stadt, am Stadion bauen. Es ist ein großer Pluspunkt von Werder, dass das Stadion so zentral ist. Das gibt es glaube ich kaum noch in der Bundesliga. Es ist hier einfach alles mit den Menschen drumherum gewachsen, gerade wenn es dem Verein schlecht geht, dann sind die Fans da. Aber auch wenn es gut läuft, so wie bei uns damals, dann können die Leute auch manchmal sehr kritisch sein. Man kann sich aber immer auf die Leute verlassen, das haben wir gerade dieses Jahr wieder extrem gemerkt. Die Menschen hier in Bremen, die leben und trauern mit diesem Verein, eben alles, was dazugehört. Und das meint hier jeder ernst.

Gab es einen Mitspieler, der Sie beeindruckt hat? 
Ganz viele mit denen ich zusammengespielt habe und die mich sowohl fußballerisch, als auch menschlich beeindruckt haben. Angefangen, als ich als junger Spieler herkam mit Rudi Völler, Benno Möhlmann, Uwe Reinders, Bruno Pezzey, der leider viel zu früh verstorben ist. Das waren absolute Superstars und wie die mit mir als jungem Spieler umgegangen sind, das war menschlich sehr beeindruckend. Aber es ging später darüber hinaus auch weiter mit Typen wie Karl-Heinz Riedle, Uli Borowka, Mirko Votava, Thomas Schaaf, Rune Bratseth oder Wynton Rufer…da könnte ich ewig weitermachen. Jeder für sich war auch anders und ich habe mit so vielen tollen Menschen zusammenspielen dürfen, da bin ich sehr dankbar für. Und ich glaube, dass ich auch immer viel dafür gegeben habe, dass diese auch so über mich reden. Deswegen kann ich auch gar nicht speziell diesen oder jenen nennen. Es waren wirklich viele Menschen, die mich beeindruckt haben und bei denen es mich immer wieder freut, wenn ich sie mal wiedersehe.

Durch Ihre ganzen Erfolge gab es natürlich auch viele Feste zu feiern. Hand aufs Herz - wer waren die größten Partyhengste bei Werder?
Wir hatten einige. Also Wynton Rufer kann ich ganz nach oben setzen, der war der Erste, der am Feiern war und auch am wildesten, obwohl er keinen Alkohol getrunken hat. Aber auch alle anderen drum herum, das war das große Plus dieser Truppe. Wir konnten das damals auch noch machen, da gab es keine Smartphones und wir wussten die Feste auch zu feiern. Wir wussten, wann wir feiern durften, auch innerhalb der Saison, wenn es mal einen Einstand gab, das gehörte für uns dazu, um dann auch wieder fokussiert zu sein auf das, was wir eigentlich erreichen wollten. Da haben wir eine sehr gute Mischung gefunden. Da haben sich dann einige hervorgetan, die gerne und gut gefeiert haben, aber dann auch fußballerisch da waren und auf die man sich verlassen konnte.

Ist es Ihnen schwergefallen vom einen auf den anderen Tag als Spieler von der großen Fußballbühne zu steigen?
Ja, das muss man klar sagen. Das ist eine große Umstellung. Wobei es im Endeffekt eine „sanfte“ Umstellung war, weil ich damals frisch Vater wurde und deswegen eine Aufgabe da war. Dann hatte ich auch die Aufgabe bei Bremen mit dem Marketing und habe auch bei der U23 nochmal gespielt. Somit hatte ich eigentlich wenig Zeit viel darüber nachzudenken. Ich bin generell von Haus aus sehr anpassungsfähig und kann von heute auf morgen sagen, dass Schluss ist. So war es beispielsweise 2013, als ich als Trainer Schluss gemacht habe und am nächsten Tag dann sportlicher Leiter war und das Trainerdasein gar nicht vermisst habe. In diesem Fall habe ich es aber schneller hinbekommen, als vom Spieler zum Trainer, da brauchte ich schon ein halbes Jahr, weil ich bei den Spielen immer noch wie ein Spieler gedacht habe.

Glauben Sie, dass Sie in Ihrer Karriere alles richtig gemacht haben oder gab es Dinge, die Sie heute anders machen würden?
Das weiß man nie. Es gibt bestimmt Dinge, die man hätte anders machen können. Wenn ich mir aber meine Karriere angucke, wie ich als Landesligafußballer nach Bremen gekommen bin, und was ich dann daraus gemacht habe, dann habe ich mehr richtig als falsch gemacht. Es lohnt sich auch nicht sich über Dinge zu ärgern, die man nicht mehr ändern kann. Ich bin hochzufrieden, wie es gelaufen ist. Ich hätte natürlich auch wechseln können, vielleicht irgendwo mehr Geld verdienen und mehr Länderspiele machen können, aber das ist nicht alles. Ich habe es immer geschafft mir meine Lebensqualität zu bewahren mit meiner Familie und meinen Freunden und das kann man gar nicht hoch genug schätzen.

Wer war Ihr unbequemster Gegenspieler?
Frank Mill gehört sicherlich dazu. Der hat mich das ein oder andere Mal eingedreht. Dann wurde ich immer gegen Paulo Sergio gestellt, das waren schöne Duelle. Wer auch unangenehm war, war Horst Heldt, weil er so klein, wuselig und wendig war, der war für mich sehr schwer zu stoppen. Die drei sind auf jeden Fall hängen geblieben.

Sie haben unter anderem im Celtic Park von Glasgow, dem Guiseppe Meazza Stadion in Mailand oder im Camp Nou in Barcelona gespielt. Wird man in solch geschichtsträchtigen Stadien nicht ehrfürchtig?
Man denkt da witziger Weise nicht drüber nach, weil man so in seinem Tunnel ist. Da dachte ich wirklich nach der Karriere erst drüber nach. Im Endeffekt war es schade, dass ich nie in England gespielt habe. Ich hätte auch gerne im Estadio Santiago Bernabéu von Real Madrid gespielt- wir hatten damals bei Atletico gespielt. Ich hätte auch gerne in Brasilien im Maracana gespielt, mein Länderspiel war damals in Porto Alegre. Aber die Stadien, in denen ich gespielt habe, die waren schon nicht so schlecht.

Welches Stadion war das Schönste, in dem Sie je gespielt haben?
Da gab es in der Bundesliga einige. Im Bochumer Ruhrstadion habe ich z.B. gerne gespielt, weil es dort so eng war. Ich habe auch in Dortmund gerne gespielt, was nach meiner Karriere zuschauermäßig nochmal aufgestockt wurde. International war das Guiseppe Meazza Stadion schon beeindruckend. Dort war eine unglaubliche Stimmung. Was auch hängen geblieben ist und bestimmt keiner mehr dran denkt war Tiflis. Dort haben wir im Dezember 1986 gespielt. In dieses Stadion passten eigentlich „nur“ 80.000 oder 90.000 Zuschauer rein und es waren schlussendlich 100.000 drin. Da war das ganze Spiel nur ein Pfeifen und eine unglaubliche Lautstärke.

Ich würde Ihnen gerne einige Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu den Persönlichkeiten zu sagen.

Rudi Völler:
Eine unheimliche Persönlichkeit. Mich hat damals beeindruckt, dass er schon Weltstar war, als ich nach Bremen kam und trotzdem hat er mit mir so gearbeitet, wie mit einem Benno Möhlmann, Bruno Pezzey oder all den anderen. Es war beeindruckend, wie er uns junge Leute aufgenommen hat.

Michael Kutzop:
Ein sehr guter Freund von mir. Er ist sicherlich bekannt geworden durch seinen Fehlschuss. Er war jahrelang Leiter der Rudi-Völler-Fußballschule auf Mallorca und ich war dort auch als Trainer und privat mit der Familie. Wir haben uns nach der Karriere noch viel mehr angefreundet und das Witzige war, dass wir 1984 zusammen zu Bremen gekommen sind. Er als gestandener Spieler, ich als junger Spieler.

Wynton Rufer:
Unser verrückter Paradiesvogel. Er ist heute auch noch oft hier, weil er für Werder Bremen ja weltweit tätig ist. Einfach ein super Typ, der viel Unfug im Kopf hatte. Dennoch einer der komplettesten Fußballer, mit dem ich je zusammengespielt habe. Der konnte eigentlich alles und hätte auch noch mehr aus seiner Karriere rausholen müssen. Das weiß er aber auch.

Klaus Allofs:
Ein absolutes Schlitzohr und ein Zocker vor dem Herrn, der immer etwas aus dem Hut zaubern konnte und den Erfolg nach Bremen gebracht hat. Wir hatten z.B. die Pokalendspiele verloren und dann kam Klaus und wir sind mit ihm direkt Pokalsieger geworden, obwohl er den Elfmeter gegen Köln verschossen hatte. Aber die folgenden Jahre sind wir mit ihm Pokalsieger, Europapokalsieger und Deutscher Meister geworden. Und das hat er als Sportdirektor zusammen mit Thomas Schaaf ja auch nochmal vollbracht. Auch so ein toller Mensch.

Mario Basler:
Mario war einfach Mario und den musste man so lassen, wie er ist. Das hat Otto Rehhagel sensationell gemacht und wir haben das in der Mannschaft auch alle so akzeptiert. Er war sicherlich kein Trainingsweltmeister, aber hat uns Punkte und Tore garantiert. Er hat meistens vor mir gespielt und ich habe gerne die Meter für ihn mitgemacht, weil ich wusste, dass er mir das mit Punkten und Toren zurückzahlt. Es war echt unglaublich, was der drauf hatte und er hätte sicherlich auch mehr erreichen können, wenn er etwas fleißiger gewesen wäre.

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