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Interview mit Jens Nowotny

"Thierry Henry war eine brutale Hausnummer."

Jens Nowotny spielte für den Karlsruher SC und Bayer Leverkusen. Außerdem war er lange in der Nationalmannschaft gesetzt. Für uns hat er sich an große Momente in der Bundesliga und der Champions League, sowieso großartige Mit- und Gegenspieler zurückerinnert.

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von Nico Petrowsky


Jens Nowotny, bevor wir uns mit der Vergangenheit befassen: Was haben Sie im Anschluss an Ihre Karriere gemacht und was machen Sie heute beruflich?

Ich habe im Anschluss an meine Karriere erstmal anderthalb Jahre nichts gemacht. Wobei ich nicht in ein Loch gefallen bin und geklagt habe, dass es vorbei ist. In dieser Zeit habe ich verschiedene Dinge erlebt und neue Leute kennengelernt. Es hat sich dann ergeben, dass ich in die Spielerberatung eingestiegen bin. Jüngst bin ich Co-Trainer der U19-Nationalmannschaft geworden. Mit einem guten Freund habe ich außerdem ein Restaurant eröffnet, wobei er das ganze managt und ich eigentlich nur zum Essen dort bin.


Mit 18 Jahren warf Winnie Schäfer, Ihr Trainer beim KSC, Sie zum Ende der Saison ins kalte Bundesliga-Wasser. Wie hat Winnie Schäfer Ihnen denn mitgeteilt, dass Sie gegen den HSV Ihr erstes Bundesligaspiel machen werden und das sogar von Beginn an?

Bei einem Trainerlehrgang in Karlsruhe habe ich kürzlich erst mit Winnie Schäfer genau über diese Situation gesprochen. In dem Trainerteam der U19-Nationalmannschaft sind mit Guido Streichsbier und Gunther Metz zwei mit Karlsruher Vergangenheit. Guido konnte sich daran erinnern, dass wir zusammen auf einer Party waren, und da hieß es im Vorfeld schon, ob ich telefonisch erreichbar wäre, weil ich eventuell mit nach Hamburg muss. So war es dann auch. Wir waren auf der Feier und dann rief Manager Calli Rühl an. Der sagte mir, dass ich meine Sachen schnappen soll und mit nach Hamburg fahre. Dort hat mir Winnie Schäfer dann ca. drei Stunden vor dem Spiel mitgeteilt, dass ich von Beginn an spiele.


Sie standen in den letzten vier Spielen dann auf Anhieb in der Startelf gegen große Clubs wie den HSV, Frankfurt, Nürnberg und die Bayern. Musste damals jemand auf Sie achten, dass Sie nicht abheben?

Nein, auf keinen Fall, wobei ich das jetzt so im Nachhinein sage. Aber ich hatte in meinem jungen Alter durch Verletzungen schon genug erlebt und mir war klar, dass es auch in die andere Richtung gehen kann. Deswegen musste niemand auf mich achten. Vielleicht war es auch zu schnell und zu kurz, denn es waren ja erstmal „nur“ vier Spiele. Dann war die Saison ja schon vorbei.


Welcher Typ waren Sie damals? Jung und unbekümmert oder gab es eine Portion Ehrfurcht, als Sie als ganz junger Spieler auf einem Platz mit Stars wie Yeboah, Möller, Effenberg oder Laudrup standen?

Ich hatte von der U15-Mannschaft bis zur A-Mannschaft jede Station durchgemacht. Außerdem war ich nie ein besonders emotionaler Typ. Vielleicht war es einfach die logische Konsequenz, aus dem, was man bisher geleistet hat und aufgrund der Fähigkeiten, die man hatte. Ich habe jetzt nicht voller Ehrfurcht vor Yeboah gestanden und ihn nach einem Autogramm gefragt. Sondern er war in diesem Moment mein Gegenspieler und er durfte kein Tor schießen. Ich habe versucht das ganze sehr rational zu betrachten.


Sie hatten schon in jüngsten Profijahren schwere Knieverletzungen, die andere Spieler zum Karriereende gezwungen haben. Hatten Sie damals Ängste vor Ihrer fußballerischen Zukunft und gab es noch einen Plan B?

Ganz am Anfang gab es einen Plan B. Ich habe die Ausbildung zum Großhandelskaufmann abgeschlossen. Aber selbst nach meinem ersten Kreuzbandriss habe ich nie einen Gedanken darauf verschwendet, dass ich kein Fußball mehr spielen könnte. Ich war so eingestellt, dass ich alles getan habe, um wieder in die Spur zu kommen. Der Blick ging immer nach vorne.


Es gibt Geschichten von jungen Spielern, die von einem Oliver Kahn in der Kabine wie Luft behandelt wurden. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm, als Sie zu den Profis kamen? War er wirklich so unnahbar?

Oliver Kahn hat mich geschnappt und nach dem Training zum Bulli mitgenommen. Was ich nicht wusste: Der Bulli war eine Muckibude. Da haben wir dann zusammen trainiert. Oliver Kahn hat mich immer mitgezogen und motiviert. Er hat mir dadurch zu verstehen gegeben, mehr zu tun als andere.


Nach fünf erfolgreichen Bundesliga-Spielzeiten beim KSC, in denen Sie stets gesetzt waren und sogar auf europäischer Ebene erste Erfahrungen sammeln konnten, wechselten Sie 1996 zu Bayer Leverkusen, das dem Abstieg nur knapp entging. Wie entstand der Kontakt zur Werkself und welche Gründe gab es für den Wechsel?

Der Kontakt kam über Rainer Calmund. Der Wechsel an sich war eigentlich die logische Konsequenz aus dem Verlauf meiner bisherigen Karriere. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereit für die nächste Station. Vielleicht habe ich nie den ganz großen Schritt gewagt, weil ich irgendwann zu bequem geworden bin. Aber in meiner Ausbildung als Fußballer war Leverkusen der nächste Schritt.


Mit Ihnen begann Trainer Christoph Daum seine Arbeit in Leverkusen. Er führte den Club auf Anhieb in die Bundesliga-Spitze und etablierte ihn dort auch über Jahre. Daum galt schon beim 1. FC Köln und dem VfB Stuttgart als verrückter Kerl. Was hat den Trainer Christoph Daum ausgemacht, der einen Fast-Absteiger zu einem Spitzenclub gemacht hat?

Diese Akribie und Besessenheit, perfekt vorbereitet zu sein. Er wollte nichts dem Zufall überlassen und hat wirklich 24/7 für seinen Verein und seine Mannschaft gelebt.


Daum geriet in die Schlagzeilen, als Uli Hoeneß Drogen-Gerüchte um ihn öffentlich machte. Daum wurde schließlich der Konsum von Kokain nachgewiesen. Wie ist man innerhalb der Mannschaft mit diesem Skandal umgegangen?

Das wurde innerhalb der Mannschaft eigentlich gar nicht thematisiert. Das Thema ist kurz aufgekommen, als Christoph den Verein über Nacht verlassen hat. Roland Koch und Rudi Völler haben dann übernommen. Wir als Mannschaft haben uns natürlich gefragt, was los war. Aber wir hatten kurz darauf wieder ein Spiel, sodass wir direkt nach vorne schauen mussten. Deswegen hat sich jeder bestmöglich auf sich selbst konzentriert.


In Leverkusen nahm Ihre Karriere richtig Fahrt auf. Sie spielten plötzlich um Titel und wurden Nationalspieler. Wie sehr ärgert es Sie heute, dass es am Ende nie für einen Titel gereicht hat?

Das ärgert einen natürlich und es ist auch schade, weil wir als Mannschaft guten und attraktiven Fußball gespielt haben. Auch für die Fans und den Verein war es sehr schade, dass wir keinen Titel geholt haben. Aber ich glaube, wenn man heute über Bayer Leverkusen spricht, sieht man diese Zeit vielleicht als eine der erfolgreichsten an. Ich stehe deswegen auch nicht jeden Morgen auf, schaue in den Spiegel und sage: Was für eine Scheiße, dass wir keinen Titel geholt haben.


Sie waren öfter ganz nah dran am großen Triumph. Unvergessen ist das Bundesligafinale der Saison 1999/2000, als Ihnen am letzten Spieltag ein Unentschieden gegen Unterhaching gereicht hätte. Das Spiel endete nach einem Eigentor von Ballack 0:2 und Leverkusen wurde nur Vizemeister. Wie ging die Mannschaft mit dem Unglücksraben Ballack um?

Den haben wir geteert und gefedert. Nein, da war bei keinem einzigen der Gedanke aufgekommen, dem Michael Vorwürfe zu machen. Wenn man ein Eigentor schießt oder vielleicht auch einen Elfmeter vergibt, muss nicht noch Salz in die Wunde gestreut werden. Da ärgert man sich selbst genug. Solche Dinge passieren eben im Fußball. Ich glaube, Michael ist dadurch auch nochmal mehr gewachsen. Das verrückte war, dass wir nach einer fast perfekten Saison mit leeren Händen dastanden. Das hat uns allen gezeigt, wie brutal der Fußball sein kann.


Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Spiel? War sich die Mannschaft im Vorfeld zu sicher?

Nein, ich glaube da hat uns tatsächlich ein bisschen das Selbstverständnis gefehlt. Wir hätten da vielleicht etwas arroganter auftreten müssen und sagen sollen: Die putzen wir weg.


Nach der EM 2000 wollte der Topclub FC Arsenal Sie verpflichten. Die Engländer boten eine enorme Summe und Ihnen ein deutlich höheres Gehalt. Waren Sie enttäuscht von Manager Calmund, dass er Sie nicht gehen ließ, und wie denken Sie heute über den geplatzten Wechsel?

Aus heutiger Sicht hätte ich das machen müssen. Es konnte aber niemand absehen, dass es in Leverkusen zu einem Bruch kommt. Auch finanziell wäre das eine andere Hausnummer gewesen. Später galt ich in Leverkusen als raffgierig, obwohl ich dortgeblieben bin und bei Arsenal wesentlich mehr verdient hätte. Aber der, aus meiner heutigen Sicht, wichtigste Punkt wäre das Familiäre gewesen. Ins Ausland zu gehen, als Familie auf sich gestellt zu sein. Die drei, vier Monate, die ich in Kroatien war, haben uns als Familie sehr viel gebracht. Das hätte ich gerne früher erlebt.


Calmund war das Gesicht von Bayer Leverkusen. Wie haben Sie ihn persönlich erlebt?

Calli ist überragend. Calli ist Bayer 04 Leverkusen. Genauso wie Uli Hoeneß der FC Bayern München ist oder Rudi Assauer Schalke 04. Das waren zwar Typen mit ihren Eigenheiten, aber die haben für ihren Verein gelebt.


2002 schaffte es Bayer Leverkusen ins Finale der Champions League gegen Real Madrid, welches nach einem tollen Spiel verloren ging. Sie verletzten sich im Halbfinale gegen Manchester United und mussten zuschauen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Zu rational. Ich habe gedacht, dass ich schnell operiert werden müsste, um wieder fit zu werden. Das war ein großer Fehler. Letztendlich interessierte es keine Sau, ob man schnell unters Messer kommt oder nicht. Es lief zu diesem Zeitpunkt ja gut für Leverkusen. Ich habe außerdem den Fehler gemacht, dass ich nicht im Stadion war. Aber damit muss ich leben.


Sie spielten in den ehrwürdigsten Arenen der Welt, unter anderem im Camp Nou in Barcelona, im Santiago Bernabeu in Madrid, im Old Trafford in Manchester oder im Ibrox in Glasgow, um nur einige zu nennen. Welches Stadionerlebnis war Ihr schönstes?

Es ist schon etwas Besonderes, wenn man in Dortmund vor der Südkurve steht und alle einen auspfeifen. Aber ich hatte auch noch das Glück beim Derby Split gegen Dinamo Zagreb dabei zu sein. Das hatte auch etwas Magisches. Obwohl man dazu auch sagen muss, dass die Stimmung extrem aggressiv war. Trotzdem geht das unter die Haut.


Gab es Stadien, in denen Sie gar nicht gerne gespielt haben?

Ich hatte das Glück, während meiner Karriere in fast jedem Stadion eine positive Bilanz zu hinterlassen. Also glaube ich zumindest. Von den äußeren Umständen würde ich aber sagen: Rostock im Februar. Der Platz matschig oder gefroren, dann noch furchtbares Wetter. Da war ich immer froh, wenn es wieder vorbei war.


Sie haben gegen die größten Spieler der Welt gespielt, beispielsweise gegen Raúl, Henry, Figo, Del Piero, Bergkamp oder Cristiano Ronaldo. Welcher Gegenspieler hat Ihnen das Leben am schwersten gemacht?

Das war im eins gegen eins mit Sicherheit der Thierry Henry. Er konnte dir aus dem Stand direkt zwei Meter abnehmen und hat trotz seines Antrittes nie die Kontrolle über den Ball verloren. Thierry Henry war eine brutale Hausnummer. Wen ich aber auch nennen muss ist Ulf Kirsten. Im Training gegen ihn anzutreten, war immer heftig. Ulfs Qualitäten suchten seinesgleichen.


Hatten Sie Spieler, die Sie sich zum Vorbild nahmen?

In Karlsruhe war das Wolfgang Rolff. Das ist vielleicht ein Gegensatz zu den Vorbildern der jungen Spieler heutzutage. Die nehmen sich Ronaldo oder Messi als Vorbild, aber nur aufgrund der Dinge, die sie im Fernsehen sehen. Wenn diese Spieler mal wieder zaubern und Tore schießen. Mit Wolfgang Rolff durfte ich mir ein Vorbild nehmen, mit dem ich auch zusammenspielen durfte. Wolfgang Rolff ist einfach auf dem Boden geblieben und ist mit jedem respektvoll umgegangen. Das hat mich tief beeindruckt und mich während meiner Karriere auch geprägt.


Ich würde Ihnen gerne einige Namen ehemaliger Weggefährten nennen und Sie darum bitten, in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu ihnen zu sagen...


Ulf Kirsten:
Unzähmbarer Tor-Wille. Der wollte das Tor machen. Wenn der den Ball sah, dachte er sich: Das ist meiner!


Lothar Matthäus:
In meiner Anfangszeit bei der Nationalmannschaft ein absolutes Vorbild. Er hat mich auch an die Hand genommen in der Nationalmannschaft.


Mehmet Scholl:
Mit Mehmet verbinde ich immer eine bestimmte Situation. Wir hatten in Karlsruhe die letzten vier Spiele zusammen und er ist dann nach München gewechselt. In der folgenden Saison trafen wir aufeinander und er hat den Ball im Strafraum bekommen. Er holte aus und ich setzte zur Grätsche an - und er hat mich ins Leere grätschen lassen. Danach sagte er zu mir: "Das machst du nie wieder“. Ich habe von da an versucht, vorausschauender zu spielen. Heute würde man Antizipieren dazu sagen.


Thomas Häßler:
Icke ist ein überragender Mensch. Er hat mich, ähnlich wie Oliver Kahn, dazu gedrängt, mehr zu machen. Er ist nach dem Training mit mir auf dem Platz geblieben, um ein paar Bälle zu schießen. Allein, dass ein Weltmeister mit einem jungen Kerl wie mir auf dem Platz steht und ich mit ihm noch ein paar Bälle aufs Tor schießen durfte, zeigt Größe.


Rudi Völler:
Rudi hat sich seinen Status hart erarbeitet. Und auch bei Rudi denke ich immer an eine Szene zurück, als wir mit Leverkusen zum Trainingslager in Rom waren. Auf dem Petersplatz hat ein Mann ihn einfach angesprochen und Rudi hat uns als Mannschaft gut 15 Minuten stehen lassen, nur um sich mit einer wildfremden Person zu unterhalten. Einfach, weil er so respektvoll war.


Lucio:
Hier könnte man das Gleiche sagen, wie bei Ulf. Wenn er den Ball hatte, dann wusste man, dass er nach vorne rennt und ein Tor schießt. Der hatte auch so einen unbändigen Willen. Wenn der über die Mittellinie kam und man in sein Gesicht blickte, konnte man diesen unbändigen Willen erkennen. Diesen Willen würde ich mir heute bei einigen Spielern mehr wünschen.

 

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