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Interview mit Ulli Potofski

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"Ich dachte, ich könnte nie mehr in ein Stadion gehen."

Kommentator-Legende Ulli Potofski hat mit uns über die Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion, über das Alkoholproblem von Rudi Assauer und den Tag, als er die Bundesliga kaufen wollte gesprochen.
 von Mario Gailing
Ulli Potofski, Sie haben vor über 40 Jahren begonnen Fußballspiele zu kommentieren und haben den Wandel im Profifußball hautnah miterlebt. Welches sind die grundlegendsten Veränderungen in den ganzen Jahren gewesen?
Wo fängt man an und wo hört man auf. Heute ist der Fußball komplett kommerzialisiert. Es ist ein Business. Deshalb steht auch viel mehr die Ernsthaftigkeit im Vordergrund. Die Leichtigkeit und das eigentliche Spiel sind dabei auf der Strecke geblieben.

Können Sie sich an Ihr erstes Spiel erinnern., welches Sie kommentiert haben?
Ja, selbstverständlich. Das war 1981 das Bundesligaspiel Borussia Mönchengladbach gegen den MSV Duisburg. Gladbach gewann 4:2.

Welches war das schönste Stadion aus dem Sie kommentiert haben?
Am Ende hängt das auch von Erlebnissen in Stadien ab. In Dublin habe ich einmal ein UEFA-Cup Halbfinale kommentiert. Dort wurde ich über eine Holzleiter unters Dach auf meinen Kommentatorenplatz geführt. Ein sehr schönes Stadion. Aber auch das alte Wembley Stadion ist toll. Dieses Stadion hat unfassbar viel Charakter. Als Schalker Junge habe ich aber auch wunderbare Erinnerungen an die Glückauf Kampfbahn.

Glauben Sie, dass durch das kommerzielle und mediale Ausschlachten des Fußballs irgendwann eine Übersättigung eintritt?
Schwierig zu sagen. Ich bin ja irgendwie mitverantwortlich daran. Als ich bei RTL war bin ich 1986 ohne Termin zum DFB gefahren und habe gefragt, ob man die Bundesliga kaufen kann. Die dachten ich wäre bescheuert mit meiner Jimi Hendrix-Frisur. Aber irgendwann fingen die Herren doch an sich darüber Gedanken zu machen. Ich denke, dass die Kommerzialisierung noch weiter zunehmen wird. Vor allem durch die ganzen Streaming Dienste. Ob eine Übersättigung eintritt wird sich dann zeigen.

Wie bewerten Sie diese Entwicklung der immer weiter steigenden Kommerzialisierung?
Das ist ganz sicher keine gute Entwicklung. Aber nicht nur im Fußball, der teilweise ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Mir gibt es da zu wenig Demut. Das ist auch gar kein Vorwurf an die Spieler, die das Geld nehmen. Ich würde es wahrscheinlich auch nehmen. Die Delle kommt dann, wenn kein Geld mehr mit dem Fußball verdient werden kann, wenn sich die Kosten nicht tragen und keine Gewinne erzielt werden. Aber das wird noch eine Weile dauern.

Im Jahr 1988 sicherte sich RTL mit Ihnen als Sportchef als erster Privatsender die Bundesligarechte. Das Format „Anpfiff“ wirkte deutlich moderner als die Sportschau? Wieso setzte sich dieses Format nicht auf Dauer durch?
Wir hatten nie wirkliche Exklusivrechte. Die Sportschau hatte einen Ruf wie Donnerhall. Wir waren zu naiv und unsere Zusammenfassungen viel zu lang. So zeigten wir 20 Minuten von Köln gegen Duisburg, obwohl in dem Spiel zu wenig passierte um fünf Minuten interessant füllen zu können.

Viele Fußballfans sind Fußballromantiker und wünschen sich die „guten alten Zeiten“ zurück. Waren die ersten 30-35 Jahre der Bundesliga wirklich so viel besser oder glorifiziert man die alten Zeiten einfach?
Die Frage ist auch ein Stück weit was man besser findet. Früher war ich oft klatschnass, wenn ich im Stadion war. Heute gibt es in den ganzen Arenen deutlich mehr Komfort. Dafür war das bewusste pure Spiel früher besser. Darauf lag der Fokus. Und nicht auf der Choreographie und dem Gesang der Fans. Damals gab es häufig ein Vorspiel der zweiten Mannschaft und dann folgte das Hauptspiel. Das war super und ich bräuchte es heute nicht anders. Aber für die heutige Generation ist dieses Eventerlebnis normaler Stadionalltag und ganz selbstverständlich.

Gibt es Spiele oder Szenen, die Ihnen immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Deutschland gegen Schottland in der Qualifikation zur WM 1970 bleibt unvergessen. Deutschland musste gewinnen. Es stand 2:2, Stan Libuda knallte den Ball unter die Latte zum 3:2-Siegtreffer. Libuda war etwas ganz Besonderes. Die Anfeuerungsrufe kamen aus dem Bauch des Stadions. Erst rief einer „Liiibuuudaaa“, dann ein Zweiter, bis letztendlich das ganze Stadion seinen Namen rief.
Toni Schumachers Fehler im WM-Finale gegen Argentinien 1986 sind auch ganz starke Erinnerungen. Er spielte eine tolle WM und dann greift er im Finale zweimal daneben. In diesen Momenten bin ich bei diesem Menschen, der gerade diese Fehler gemacht hat. Bei seinen Gefühlen und Ängsten.
Was mich bis heute beschäftigt ist die Katastrophe im Heysel-Stadion von Brüssel 1985 vor dem Europapokalendspiel zwischen Juventus und Liverpool, als viele Menschen starben. Das ZDF brach im Zuge dieser Katastrophe die Spielübertragung ab, RTL natürlich nicht und ich musste kommentieren. Ich dachte, ich könnte nie wieder in ein Stadion gehen und bis heute stand ich nicht mehr auf einem Stehplatz.

Die Fanszene hat sich stark verändert. Ultras machen wunderschöne Choreographien, aber mich persönlich stört der Dauergesang ohne Bezug zum Spielgeschehen. Früher wurden Mannschaften spielbezogen nach vorne geschrien. Marcel Reif sagte mir in einem Interview, dass ihn dieser Dauergesang richtig nerve. Welche Art der Unterstützung bevorzugen Sie?
Ich bin da ganz bei Marcel Reif. Ich brauche das alles nicht. Auch keinen Vorsänger mit seinem Megaphon. Mir kommt das vor wie Arbeit, eine Pflichtaufgabe alle Lieder am Ende eines Spiels gesungen zu haben. 

Clubs wie Hoffenheim, Leipzig, Wolfsburg oder Leverkusen haben sich in der Bundesliga etabliert. Die Fankultur ist dort eher dezent. Warum sind die Fans von sogenannten Traditionsvereinen meist deutlich enthusiastischer? 
Bei Traditionsvereinen ist das eine über einen wesentlich längeren Zeitraum gewachsene Geschichte. Aber ich finde es in Leipzig im Stadion auch richtig gut. Da ist eine echt angenehme Stimmung. Leicht amerikanisch. Wer weiß, wer in 50 Jahren eine Traditionsmannschaft ist. Auch Hoffenheim finde ich nicht schlimm. Von Leipzig kann man halten was man will, aber da hat jemand eine clevere Marketingstrategie durchgesetzt. Ob das gut zu finden ist, steht auf einem anderen Blatt.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass so viele Traditionsvereine keine Rolle mehr im Profifußball spielen?
Da wurde einfach ganz schlecht gewirtschaftet. Man muss heute neben den sportlichen Ideen auch wirtschaftliche Ideen haben. Rot-Weiß Essen, Alemannia Aachen oder der FCK sind da beste Beispiele. Man ist ganz schnell weg vom Fenster, wenn man erst den Anschluss verliert. Die Schuld hängt nicht bei den Großinvestoren anderer Vereine, sondern daran, dass man beispielsweise regelmäßig 50 Millionen ausgibt und nur 45 Millionen einnimmt.

Gibt es auch Vereine, die Sie gar nicht mochten oder noch heute nicht mögen?
Ich bin da berufsbedingt neutral, auch wenn man mir immer mal wieder etwas anderes vorgeworfen hat. Dann hat man mir aber nicht richtig zugehört. Natürlich gibt es Tendenzen zu Sympathie oder Antipathie, aber das begrenzt sich dann auf einzelne Personen innerhalb eines Vereins und macht sich auch kaum bemerkbar.

Gab es Mannschaften, deren Spiele Sie bevorzugt oder auch weniger gerne kommentiert haben?
Gladbach habe ich immer sehr gerne kommentiert. Das war frischer Fußball. Und natürlich Mannschaften, die einen ehrlichen Arbeiterfußball spielten wie Schalke 04, wo man für eine schöne Grätsche vom Publikum gefeiert wurde.

Hatten Sie auch Spieler als Interviewpartner, die Ihnen unangenehm waren?
Spieler, die nicht reden wollen sind natürlich schwierig. Noch schlimmer sind Spieler, die nicht reden können. Für mich ist der Reporterjob der schwierigste in dem ganzen Geschäft, weil man Fragen stellen muss, auch wenn es keine Fragen zu stellen gibt. Ich finde Spieler gut, die ihre Fehler auch mal eingestehen. Das gibt es viel zu selten. Wir sind Menschen und dazu gehört es Fehler zu machen. Ich würde als Interviewer nie einen Spieler angehen, weil er einen Fehler gemacht hat.

Hatten Sie ein Kommentator- oder Reportervorbild?
Kurt Brumme, mein erster Chef beim Radio war zwar nicht ganz einfach, aber er hatte eine unfassbare Stimme, die einen in seinen Bann zog. Er war Erfinder der Bundesligakonferenz im Radio. Er nannte sich selbst leicht arrogant „The Voice of Germany“. Noch mehr Vorbild war für mich aber Dieter Kürten. Er wurde öfter Weichspüler genannt, aber diese Art ging auch mehr in die Richtung, wie ich kommentiert habe. Und Weichspüler ist für mich in diesem Fall nichts Negatives.

Mit Fritz von Thurn und Taxis, Werner Hansch und Manni Breuckmann wurden in letzter Zeit vermehrt Kommentatoren-Legenden aus dem Ruhestand geholt. Merken auch die Medien, dass sich große Teile des Publikums nach den alten Zeiten zurücksehnt?
Hansch ist über 80, Fritz ein echtes Unikat, das ich liebe und Manni, der Fuchs ging schon früh in Rente. Das war schöne Publicity, aber irgendwann muss Schluss sein. 

Heute sind Interviews mit Fußballern häufig ohne echte Aussage, wirken komplett durchorganisiert. Früher hatte man das Gefühl, dass im Profifußball ehrlicher die eigene Meinung vertreten wurde. Können Sie das bestätigen?
Ich gehe davon aus, dass die Spieler alle geschult sind nichts Falsches zu sagen. Das finde ich schade und auch völlig falsch.

Vergleichen Sie doch bitte mal die Fußballer von vor 30 Jahren mit den heutigen Spielern?
Die Spieler früher waren fußballerisch und medial bei weitem nicht so gut ausgebildet und hatten auch finanziell noch nicht ausgesorgt.

Sie haben so viele große Persönlichkeiten des Fußballs kennengelernt. Gibt es Geschichten, an die Sie sich besonders gerne zurückerinnern?
Mitte der 80er gab es die beste Sportsendung „Finale“ bei RTL. RTL war noch sehr neu und völlig arm. Wir hatten keinen Quotendruck und waren beim Publikum beliebt. Die Sendung ging so lange wie sie brauchte. Open End. Fritz Walter war zu Gast. Ich habe zweieinhalb Stunden mit ihm geredet. Nach wenigen Sekunden bot er mir das Du an. „Ulli, wir sind Fußballer. Lass uns duzen.“ Er verkörperte eine unfassbare Bescheidenheit. Diese Demut vermisse ich heute ganz oft bei jungen Spielern. Er war sehr herzlich, ein ganz toller Mensch. Und ein Teil dieser Weltmeistermannschaft von 1954, die dem deutschen Volk nach dem harten Krieg so viel gegeben hat.

Zum Abschluss würde ich gerne ein paar Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund ganz persönlicher Erfahrungen zu beschreiben, was Ihnen zu den Personen als Erstes einfällt.
Günter Netzer: Ein Freund mit dem ich vier Jahre bei RTL-Anpfiff zusammengearbeitet habe. Er hat mir viel geholfen und ich konnte vieles von ihm lernen.

Uli Hoeneß: Immer sehr direkt, aber in den Momenten abseits des Fußballs stets höflich und korrekt.

Rudi Assauer: Da erwischen Sie mich auf dem falschen Fuß, weil ich viele sehr intime Dinge mit ihm erlebt habe, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. Wir hatten viele private Gespräche und ich habe es sehr bedauert, dass man ihn bei Schalke rausgeworfen hat, statt ihm zu helfen. Man hätte ihm helfen müssen mit dem Trinken aufzuhören.

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