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Interview mit Marcel Raducanu

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"Ich hatte plötzlich nur noch meine Unterhose nach dem Abpfiff an."

Marcel Raducanu hat ein bewegtes Leben hinter sich. Er flüchtete in der Halbzeitpause eines Spiels aus Rumänien und wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Seine Familie blieb zurück, während er bei zwei Vereinen unterschrieb und lange gesperrt wurde.

von Mario Gailing


Marcel Raducanu, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere machten und heute beruflich machen?
Ich habe nach Dortmund noch zwei Jahre in Zürich gespielt. Danach war ich viel unterwegs mit Prominentenmannschaften und habe 1993 den Fußball-Lehrer in Köln gemacht. Natürlich wünscht sich jeder einen Trainerjob, aber das ist extrem schwer. Ich habe dann viele Aktionen mit Kindern gemacht. Unter anderem habe ich 40 Kinder aus Deutschland in Portugal für ein Fußballcamp der Firma Nike trainiert. 1994 kam ein Bekannter von mir auf die Idee eine Fußballschule mit meinem Namen zu gründen, die inzwischen die älteste Fußballschule Deutschlands ist, worauf ich auch sehr stolz bin. Von Montag bis Freitag bin ich auf dem Platz. Viele Leute sagten damals, dass ich das höchstens drei Monate machen werde. Von daher bin ich wirklich stolz, dass es meine Fußballschule schon so lange gibt.


Ihre Karriere begann in den 70er-Jahren bei dem rumänischen Militärverein Steaua Bukarest. Wie kann man sich den Tagesablauf der Spieler eines Militärvereins vorstellen?
Mit 18 Jahren habe ich bei Steaua angefangen. Ich wurde noch als Jugendspieler geholt und trainierte aber schon mit der ersten Mannschaft. Da bekam ich den Rang Unteroffizier, weil Steaua eine Armeemannschaft war. Wir waren eigentlich alle Soldaten, aber im Grunde haben wir nur Fußball gespielt und nicht mit Waffen hantiert. Soldaten auf Papier könnte man sagen. Zum Schluss war ich Hauptmann.


Sie spielten 1977 im Europapokal als ganz junger Kerl gegen den FC Barcelona, das mit Superstars wie Cruyff und Neeskens bespickt war. Wie erlebten Sie diese Highlights damals?
Das war schon etwas ganz anderes. Normalerweise war man nur in den Ost- und Balkanstaaten wie beispielsweise Bulgarien oder Polen unterwegs. Wir hatten großen Respekt vor Barcelona. Ich konnte mich kaum auf Fußball konzentrieren, weil ich nur auf Johann Cruyff schauen konnte. Er war einer der größten Spieler aller Zeiten. Einmalig, was der alles mit dem Ball machte. Es war unglaublich, ein absolutes Highlight. Nach dem Spiel hat Cruyff unter der Dusche noch gemütlich geraucht und Whisky getrunken, während seine Kollegen auf ihn gewartet haben. Die internationalen Spiele waren etwas ganz Besonderes. Wir spielten in der WM-Qualifikation 1980 mit Rumänien gegen England vor 80.000 Zuschauern, da habe ich auch getroffen und wir gewannen 2:1. Großartig. Im Rückspiel in Wembley durfte ich nicht spielen. Das war sehr enttäuschend und traurig für mich. Man nahm mir die Möglichkeit einmal in Wembley zu spielen, was mich wirklich sauer machte. Ich war damals Fußballer des Jahres und konnte es nicht verstehen. Dreimal schickte der Trainer mich zum Aufwärmen und dreimal sollte ich wieder auf der Bank Platz nehmen.


Spürten Sie damals schon die Sehnsucht im Westen Fußball zu spielen?
Ja, natürlich. Ich hätte auch schon vorher in den Westen gehen können. Wir haben mit der Nationalmannschaft an einem Turnier mit vier Mannschaften in Toulouse teilgenommen. Saint Etienne, Toulouse und Borussia Mönchengladbach waren die anderen drei Mannschaften. Obwohl auch ein Platini mitgespielt hat, bekam ich den Pokal als bester Spieler des Turniers. Das ist auch die einzige Trophäe, die ich bei meiner Flucht in den Westen retten konnte. Alles andere wurde vom rumänischen Staat konfisziert.


Bei einem Freundschaftsspiel in Dortmund täuschten Sie eine Verletzung vor, um zu fliehen. Haben Sie vorher Ihre Flucht schon konkret geplant oder war das eine kurzfristige Entscheidung?
Die Flucht war natürlich geplant. Sonst hätte ich keine Chance gehabt. Ich habe eine gute erste Halbzeit gespielt und kurz vor dem Pausenpfiff begonnen zu hinken. Dem Trainer sagte ich in der Pause, dass ich mir das Knie verdreht hatte. Gott sei Dank lief alles nach Plan. Ich war noch duschen und bis auf den Arzt war niemand mehr in der Kabine. Er verpasste mir eine Bandage und ging. Plötzlich war ich alleine und bin einfach aus dem Stadion gegangen. Dort wartete ein Freund mit dem Auto auf mich und wir fuhren nach Hannover zu ihm nach Hause, wo ich auch drei Wochen gewohnt habe.


Für Ihre Flucht aus Rumänien wurden Sie in Ihrer Abwesenheit zu über 5 Jahren Haft verurteilt. Hatten Sie Angst um Ihre Freunde und Familie in der Heimat oder hatten diese nichts zu befürchten?
Ich hatte große Angst um meine Mama. Mein Vater war kurz vor meiner Flucht schon gestorben und für meine Mutter war es ein Schock. Meine Frau und mein zweijähriger Sohn blieben auch zurück. Klaus Steilmann, der Präsident von Wattenscheid 09, war mit Rumäniens Staatspräsident Ceaușescu befreundet und half mir in dieser Sache. Ich war in diesem Moment nicht mehr Sportler, sondern Deserteur. Es war eine schwierige Zeit.


In Rumänien wurden Sie 1980 zum Fußballer des Jahres gekürt, was auch deutsche Vereine auf Sie aufmerksam machte. Sie wurden aber erstmal für ein Jahr von der UEFA gesperrt, weil Sie zweigleisig bei Hannover 96 und Borussia Dortmund Verträge unterschrieben haben. Wie konnte das passieren?
Das war der größte Fehler meines Lebens. Hannover 96 spielte damals in der zweiten Liga und ich unterschrieb vorschnell einen Vorvertrag. Dann kam Borussia Dortmund und bot mir mehr Geld und die Möglichkeit Bundesliga zu spielen. Das wollte ich unbedingt machen. Hannover hat geklagt und gewonnen. 500.000 DM. Dieses Geld hätte ich haben können. Dortmund wusste auch schon aus der Zeitung, dass ich in Hannover unterschrieben habe, aber Trainer Branko Zebec wollte mich unbedingt haben. Ich traf mich auf der Autobahn mit BVB-Präsident Rauball, der mit Dortmund in der Nähe von Hannover im DFB-Pokal unterwegs war und wir machten alles klar.


Ab 1982 spielten Sie nach einer Sperre der FIFA endlich für Borussia Dortmund. Wie groß war die Umstellung für Sie von der rumänischen Liga auf die Bundesliga?
Wir hatten auch bei Steauea Bukarest immer sehr viele Zuschauer oder auch mit der Nationalmannschaft. Von daher musste ich mich daran nicht erst gewöhnen. Da ich wegen der einjährigen Sperre über ein Jahr nur trainieren konnte, konnte ich meine Kollegen beim BVB schon kennenlernen, bevor es so richtig losging. Das hat mir den Start bei Dortmund, als ich dann spielen durfte, sehr vereinfacht. Ich spielte gleich zu Beginn meine beste Saison, war häufig in der Kicker-Elf des Tages mit der Note 1.


Wie wurden sie von Ihren neuen Mannschaftskameraden aufgenommen?
Super, richtig super. Die haben natürlich auch gleich gemerkt, dass ich richtig gut kicken kann. Branko Zebec sagte immer, dass sein bester Spieler nicht spielen darf. Er musste leider wegen Alkoholproblemen den BVB verlassen und Kalli Feldkamp kam.


Wie lief die Zusammenarbeit mit Kalli Feldkamp?
Sehr gut. Unter ihm machte ich meine ersten Spiele für den BVB. Ich hatte viele Trainer in Dortmund und mit allen kam ich gut klar. Es ist aber schwierig, wenn man sich ständig auf eine neue Mentalität und auf neue Systeme einstellen muss. Damals wurde der Trainer sehr oft beim BVB gewechselt. Der Verein hatte kein Geld und hat nur junge Leute holen können, die nicht teuer waren. Dies waren alles Umstände, warum wir nicht sehr erfolgreich waren.


Sie spielten in Deutschland ausschließlich für den BVB. Dortmund zählte in den 80er-Jahren zum Bundesliga-Mittelmaß. Warum ist der „Balkan-Maradona“, wie Sie genannt wurden, trotzdem immer in Dortmund geblieben? Es gab doch sicher Angebote.
Als Timo Konietzka 1984 BVB-Trainer wurde, bekam ich ein Angebot aus der ersten Liga in Italien. Como wollte mich zusammen mit dem schwedischen Stürmer Corneliusson vom VfB Stuttgart verpflichten. Ich habe in Dortmund richtig Stress gemacht, weil ich unbedingt dorthin wollte. Der BVB gab mir die Freigabe und ich bin nach München geflogen, um von dort aus nach Mailand zu den Verhandlungen zu fliegen. Das Wetter war so schlecht, dass man in München nicht landen konnte. Bis ich dann endlich in München war, war der Flieger nach Mailand schon weg und Como hat Hansi Müller von Inter Mailand verpflichtet. Das war Schicksal und ich dachte für mich, dass ich wohl in Dortmund bleiben soll. 1986 bekam ich auch ein Angebot von Lecce während der WM in Mexiko. Aber da war ich schon über 30 und am Ende froh, dass ich in Dortmund geblieben bin. Auch wenn wir nicht sehr erfolgreich spielten, hatte ich eine wunderschöne Zeit in Dortmund und bin stolz, so lange für diesen Verein gespielt zu haben.


In der Saison 1985/1986 mussten Sie mit dem BVB in die Abstiegs-Relegation gegen Fortuna Köln. Im Hinspiel verloren sie 2:0 und im Westfalenstadion lagen Sie zur Halbzeit hochverdient mit 0:1 hinten, mussten also drei Tore erzielen. Glaubten Sie in der Halbzeit noch, dass der BVB es schaffen kann?
Wir saßen in der Halbzeit alle mit hängenden Köpfen in der Kabine. Keiner konnte etwas sagen und die Worte vom Trainer hat man auch nicht wahrgenommen. Irgendwann ist unser Kapitän Michael Zorc aufgestanden und sagte, dass wir noch 45 Minuten Zeit haben, um das Ding zu drehen und dass wir jetzt noch einmal alles raushauen. Zorc machte dann kurz nach der Pause das 1:1 und ich per Kopf den Führungstreffer. Wenn ich das Tor nicht gemacht hätte, wären wir abgestiegen. Ich glaube, es war mein einziges Kopfballtor meiner gesamten Karriere. Wegmann machte das 3:1 und wir hatten mit diesem Ergebnis das Entscheidungsspiel erzwungen. Da war eine Atmosphäre – Wahnsinn! Ich hatte plötzlich nur noch meine Unterhose nach dem Abpfiff an und hatte Angst, dass sie mir die auch noch ausziehen.


In den ersten Jahren beim BVB galten Sie als sehr torgefährlicher Mittelfeldspieler. In den letzten beiden Jahren trafen Sie insgesamt noch dreimal. Warum ging Ihre Torgefahr irgendwann verloren?
Wir spielten oft schlecht und ich musste viel mehr nach hinten arbeiten. Abstiegskampf ist Maloche. Schönspielerei war da nicht mehr und als 10er, der ich immer war, war es schwierig torgefährlich zu sein.


An welche weiteren Spiele oder Situationen denken Sie zuerst, wenn Sie an Ihre Karriere zurückdenken? 
Ein absolutes Highlight war das Spiel gegen England, das ich vorhin erwähnt habe. Vor 80.000 in Bukarest zu spielen und England zu besiegen war toll. Das beste Spiel, das ich für die Borussia gemacht habe, war das Spiel in Glasgow. Dort haben wir zwar verloren, aber im Rückspiel reichte uns ein 2:0 zum Weiterkommen im UEFA-Cup. In der zweiten Runde gewannen wir dann zu Hause gegen Velez Mostar aus Jugoslawien mit 2:0. Im Rückspiel wollte ich aber nicht spielen, weil ich Angst hatte, dass mir etwas passiert oder ich festgenommen werde, wenn ich in den Ostblock reise. Und so wäre es auch gekommen. Trainer Reinhard Saftig sagte, dass ich verrückt bin und dass er mich brauche. Es gab natürlich Stress, aber ich habe mich geweigert. Als die Mannschaft aus Jugoslawien zurückkam, habe ich sie am Flughafen empfangen. Der Präsident Gerd Niebaum kam direkt zu mir und hat mich in den Arm genommen und gemeint, dass es die richtige Entscheidung von mir gewesen ist, nicht mitzukommen, weil die Polizei schon am Flughafen auf mich gewartet hätte. Ich wäre weg gewesen. Die hätten mich in meine Heimat gebracht.


Sie haben in tollen Stadien gespielt, allen vorweg in den Glasgower Stadien Ibrox Park und dem eben erwähnten Celtic Park, sowie dem Camp Nou in Barcelona. Welches Gastspiel während Ihrer Karriere würden Sie zur Nummer 1 küren?
Barcelona! Ohne Frage. Ich habe nach dem Spiel mit Steauea auch mit Dortmund einmal dort gespielt. Es war ein kleines Sommerturnier und Maradona spielte noch in Barcelona. Anderlecht und Nottingham Forrest waren auch dabei. Es hat drei Tage nur geregnet und als wir im Endspiel gegen Barcelona spielten, war der Platz ein Kartoffelacker. Der Platz musste danach neu gemacht werden. Aber gegen Maradona zu spielen war eine sehr schöne Sache, auch wenn wir verloren haben.


Gab es Vereine, wo Sie gar nicht gerne zu Gast waren?
Gar nicht gerne habe ich in Uerdingen gespielt. Dort spielten nur Klopper.


Würden Sie rückblickend auf Ihre Karriere noch einmal alles genauso machen, wie Sie es gemacht haben?
Ich bedanke mich jeden Tag bei Gott dafür, was ich mit meinem Talent alles erreicht und bekommen habe. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen und auf der ganzen Welt Fußball spielen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich hätte vielleicht in Saudi-Arabien oder China viel Geld verdienen können, aber Geld ist nicht alles. Ich wurde vor einigen Wochen am Herzen operiert und Gott war bei mir und gab mir die Möglichkeit weiterzuleben.


In den 80er-Jahren wechselten die Trainer beim BVB sehr häufig. Wen würden Sie als Ihren besten Trainer in Dortmund bezeichnen? 
Branko Zebec war der Beste. Ribbeck war auch gut. Bei Dortmund standen alle Trainer unter riesigem Druck und trotzdem machten alle eine gute Arbeit.


Zum Abschluss würde ich Ihnen gerne einige Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu ihnen zu sagen.
Manni Burgsmüller: Manni war Publikumsliebling, als ich nach Dortmund kam. Er war ein Leader, der etwas zu sagen hatte. Ein genialer Typ, ein Gentleman. Wie er sich angezogen hat mit seinen langen blonden Haaren. Super. Und auf dem Platz ein Schlitzohr. Ich habe viel von ihm gelernt. Absolut genial, ich habe ihn geliebt. Und diese Körpersprache – unglaublich.


Michael Zorc: Mit ihm habe ich sechs Jahre zusammengespielt. Sehr gutes Auge und sehr viel Talent.


Eike Immel: Eike war ein ganz toller Kollege. Aber er hat zu früh zu viel Geld verdient. Ist schon früh Porsche gefahren. Was aus ihm geworden ist, ist wirklich traurig. Ich wollte ihm helfen, aber das hat nicht geklappt und wir haben uns aus den Augen verloren.


Frank Mill: Ach der Franky, ähnlicher Spielertyp wie Manni Burgsmüller. Ein Schlitzohr. Wir haben gut harmoniert. Ein guter Typ.

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